■ Mit Lateinamerika auf du und du
: Gefährlicher Geldstrom

Caracas/Berlin (ips/taz) – In Lateinamerika wird wieder kräftig investiert. Mit 115,4 Milliarden US-Dollar hat die Region in den letzten zwei Jahren den Stand erreicht, den sie vor dem Ausbruch der Schuldenkrise 1982 gehabt hatte. Ungeachtet dieser guten Bilanz, sieht das „Lateinamerikanische Wirtschaftssystem“ (SELA) darin aber auch eine Gefahr, da die Unbeständigkeit der Investitionen die Region in eine zweite Finanzkrise stürzen könnte.

Der Löwenanteil der ausländischen Gelder fließt nämlich in Wertpapiere, nicht in Fabriken. Die Portfolio-Investitionen sind auf die gute Rendite in der Region zurückzuführen. Sie hat sich SELA zufolge in den letzten zwei Jahren durchschnittlich verdreifacht. Diese Form der Kapitalanlage machte mit immerhin 68 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr drei Viertel des Geldstromes in die Region aus.

Doch das hohe Investitionsvolumen könnte laut SELA einen schlimmeren Finanzschock auslösen als etwa Preisschwankungen bei Rohstoffen, die das Gros der Exporte aus der Region ausmachen. Denn die Investoren könnten ihre Wertpapiere bei jedem Anzeichen von wirtschaftlichen Problemen sofort wieder abstoßen.

Gegenüber dem Erwerb von Wertpapieren sind die Direktinvestitionen in die Region bescheidener ausgefallen. Sie erhöhten sich von 13,8 Milliarden im Jahr 1992 auf 17,5 Milliarden Dollar im letzten Jahr. Dabei fielen auf Argentinien, Brasilien, Chile sowie Kolumbien und Mexiko zwei Drittel der Investitionen, die die Region in den letzten 20 Jahren erhalten hatte. An Bankkrediten erhielt Lateinamerika im Vorjahr 1,9 Milliarden Dollar, 40 Prozent davon kamen aus Europa und 32 Prozent aus den USA.

Insgesamt hätten die ausländischen Netto-Investitionen in den Jahren 1992 und 1993 4,7 Prozent des regionalen Bruttoinlandsproduktes (BIP) entsprochen, stellt SELA in seinem jüngsten Bericht „Die Widersprüche ausländischer Investitionen“ fest. Der Report wurde im venezolanischen Caracas vorgestellt, dem Sitz von SELA, in dem 27 Länder aus Lateinamerika und der Karibik zusammengeschlossen sind.

Die große Herausforderung der Region bestehe nun darin, eine Strategie zu entwickeln, die den „Nutzen des erhaltenen Kapitals maximiert und das Risiko der Unbeständigkeit reduziert“. Die „ideale Formel“, so der SELA-Bericht, beinhalte eine stabile Volkswirtschaft, Abbau von Investitionshemmnissen, Zunahme von langfristigen Direktinvestitionen sowie verbesserten Zugang zu multilateralen Krediten. Nur mit diesem Maßnahmencocktail sei es möglich, daß Lateinamerika eine zweite Schuldenkrise erspart bliebe.