Vier Jahre ein schönes Bullenleben

■ Öko-Rinderzucht auf dem Staatsgut Wulksfelde: streß- und hormonfrei Von Katrin Wienefeld

Mhhmm, bei Mephistos Anblick kann einem schon das Wasser im Munde zusammenlaufen: Prächtig und tiefschwarz steht der Bulle bei der Herde und käut wieder. Stumpfschnäuziges und stämmiges Deutsch-Angus, rote, graue und schwarze Tierleiber. „Ich weiß genau, was mit meinem Fleisch los ist“, sagt Heidrun Bahr zufrieden. Ein kurzer, geübter Blick auf die Herde genügt ihr beim nachmittäglichen Kontrollgang. Die widerstandsfähige Rasse gedeiht sommers ganz von allein.

Vor fünf Jahren pachtete die 33jährige Öko-Landwirtin mit fünf Gleichgesinnten das Staatsgut Wulksfelde bei Duvenstedt. Die blonde Frau, die seit einem Jahr auch den Meisterinnen-Brief in der Tasche hat, ist verantwortlich für die Tierhaltung. Das Gut gehört zu den sieben Betrieben rund um Hamburg, die nach ökologischen Grundsätzen wirtschaften. Weitere Höfe haben sich für Bio-Landbau entschieden und sind in der zweijährigen Umbauphase. Zusammengeschlossen sind sie in drei großen norddeutschen Öko-Verbänden Bioland, demeter oder Naturland – anerkannte Warenzeichen ökologischen Landbaus, die auch die Kontrollen übernehmen. Wulksfelde gehört zu Bioland, und dessen Richtlinien schreiben Heidrun Bahr genau vor, wie sie ihre Tiere halten, füttern und schlachten muß. 38 Tiere zählt ihre Rinderherde, die nur der Fleischproduktion dienen.

Mephistos Vorgänger Baghira hat's vergangenen Winter erwischt. Schuld waren die von ihm geschaffenen Tatsachen: „Ich wollte nicht, daß er seine Töchter deckt und schon gar nicht seine Enkelinnen“, meint Heidrun Bahr mit bedauerndem Schulterzucken. Beim Schlachter in Henstedt-Ulzburg wurde ihm nach der Bolzenschuß-Betäubung fachmännisch die Kehle durchgeschnitten, sein Körper sorgsam zerlegt, abgehangen und verkauft.

Baghira wird sein kurzes Leben genossen haben. Als nicht kastriertes männliches Bio-Rind durfte er vier Sommer lang die Freuden eines Bullenlebens genießen. Viele seiner Artgenossen aus konventioneller Haltung dagegen schnuppern nie Freiheit, sondern werden ihr ganzes Leben im Stall gehalten. Nur die Kälber sind im ersten Sommer bei den Müttern auf den Weiden, meist kommen sie, sind sie von der Milch abgesetzt, in den Stall zur Mast.

Bio-Betriebe stallen meist nur von Dezember bis April ein. „Dann kalben die meisten Kühe, und es ist gut, sie etwas näher bei sich und unter Kontrolle zu haben“, erklärt die Öko-Landwirtin. Im Sommer sieht sie die Viecher mehr von weitem: „Extensive Mutterkuhhaltung bedeutet, daß die Tiere auf der Weide sind“, sagt die junge Frau, „da muß ich nur gucken, ob sie alle fit sind, die Wasserpumpe funktioniert, Zäune in Ordnung sind und die Tiere nach Bedarf auf frische Weiden treiben.“ Werden sie krank, darf Heidrun Bahr Medikamente geben, um Leben zu erhalten oder Leiden zu vermeiden. Über die Behandlungen ist Tagebuch zu führen, die Eintragungen werden „genau kontrolliert, es wird im Zuge der EG-Richtlinien bürokratischer“. Hormonbehandlungen zur Geburtsstimulation brauchen Deutsch-Angus nicht: „Die gebären ihre Jungen fast ohne Hilfe. Da flutscht das von selbst, die haben ordentlich breite Becken.“ Die gängigen Charlois-Rinder deutscher Großbauern dagegen haben Hüften wie tierische Mannequins.

Nur bei Dauerfrost wird der offene Frontstall in Wulksfelde geschlossen. Vergitterte Spaltenböden, in die der Kot der Tiere fällt, sind generell auf Bio-Höfen verboten. Die Tiere stehen oder liegen auf Strohgemisch, das durch den Dung langsam wächst und zweimal in den vier Monaten ausgemistet wird. Stall-Leben in konventioneller Haltung bedeutet Enge, „da stehen 20 Bullen auf Güllerosten, wo die Scheiße durchfällt, und vorne läuft das Futter auf dem Fließband vorbei“, schildert Heidrun Bahr. Diese Rinder unterliegen dem Dauerstreß einer Hochleistungs-Mast: „Wachse“, heißt die tägliche Maxime, unter der sie gefüttert werden. Passive Hochleistung bei Neonlicht: Triebiges Futter, das besonders schnell Masse wachsen läßt, soll bis aufs Gramm verwertet werden: „Das Fleisch wächst am schnellsten, wenn die sich nicht bewegen und in abgeriegelten Ställen keine Kalorien verbrauchen müssen, weil die natürlichen Temperaturschwankungen fehlen.“ Dem Futter beigemischt sind oft Tiermehle oder Dritt-Welt-Importe.

Futter mit Tiermehl und chemischsynthetischen Dünge- und Pflanzenbehandlungsmitteln oder Futtermittelimporte aus Dritte-Welt-Ländern sind für alle Bio-Betriebe verboten. „Sowieso pervers“, meint Heidrun Bahr, „Tierknochen an Vegetarier zu verfüttern.“ Bio-Betriebe dürfen nur zehn Prozent Fremdfutter verwenden. „Wir vergären unser Gras und Klee in den Silagen, genau wie konventionelle Bauern, gepreßt und auf Haufen abgedeckt mit Planen und Reifen. Da sind keine Düngemittel drin, ein bißchen Schrot und fertig ist das Winterfutter“, so Heidrun Bahr.

Bio-Rindfleisch reift langsamer, die Tiere brauchen mindestens zwei Jahre zum Wachsen, um Bauers Traum zu erfüllen: gleichmäßig marmoriertes Fleisch. Doch der letzte Schnitt beim Schlachter erst bestimmt, wie das Fleisch letztendlich schmeckt. Schlachtreife Bio-Rinder werden quasi an die Hand genommen auf ihrem letzten Weg: „Ich will mir nicht den Ruf versauen“, erzählt Heidrun Bahr. Sie bringt die Tiere auf dem Hänger hin und wartet die ganze Schlachtung ab. Im Norden Hamburgs gibt es noch viele kleine Schlachtereien, so daß niemand gezwungen ist, auf Großschlachtereien mit Fließbandproduktion auszuweichen.

Der Wulksfelder Lohnschlachter hat einen Rindstag pro Woche. Die Tiere werden einzeln in den Schlachtraum geführt und dort von zwei Mann in Empfang genommen. „Sauber und schnell“, so Bahr, geht das blutige Geschäft vonstatten. Pro Rind rechnet sie eine Stunde, bis es in zwei Hälften zerlegt zum zehntägigen Abhängen in den Kühlraum kommt. Ein wichtiger Reifungsprozeß für die Fleischqualität, der bei Großbetrieben selten eingehalten wird. „Ich überzeuge mich, daß es auch unser Tier ist, was da hängt und den Stempel bekommt“, sagt Bahr.

Mephisto hat noch Zeit, bevor er den letzten Gang tut. Erst einmal muß er Baghiras Pflichten übernehmen. Pro Kuh ein Kalb heißt seine Aufgabe, denn sein Fleisch und Blut sind beim Verbraucher zunehmend gefragt. In Achteln zu je etwa 30 Kilo werden die Tiere verkauft, für 18 Mark pro Kilo, meist an Stammkunden: „Familien mit zwei bis drei Kindern, denen das übers Jahr reicht.“ Trotz des kurzen Lebens bekommen alle Rinder Namen: „Das ist eine Mordsgaudi“, lacht Heidrun Bahr, „letztens hatten wir historische Persönlichkeiten“. Nun laufen auf der Wiese Gundolf, Geronimo und Godewind herum. Nur ein männliches Kalb ist noch namenlos: Es fehlt ein historischer Name mit Q. Anregungen sind erwünscht, der Gewinner bekommt im Hofladen eine Bio-Bifi. Doch Achtung: Quasimodo gibt es schon.