Synthese aus Schwertkampf und HipHop

■ Düster, aber unverwässert, mal gröhlend, mal mit klassischem Sprechgesang – Der Wu-Tang Clan, im Osten und Westen der USA respektiert, kommt ins Marquee

Staten Island, lediglich durch ein bißchen Wasser von New York City getrennt, war bisher nicht gerade als eigenständiges Zentrum schwarzer Musik bekannt. Doch das änderte sich letzten Winter, als der Wu-Tang Clan mit seinem Debutalbum „Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“ seinen eigenwilligen Stil präsentierte: eine Synthese aus fernöstlichem Schwertkampf und HipHop.

Ob man ihn nun als Spinner aburteilt oder als HipHop-Innovation feiert – dem Wu-Tang Clan gelang etwas sehr Seltenes, nämlich als Ostküstenerzeugnis sowohl in der New Yorker Szene als auch von der konkurrierenden Hardcore-Fraktion im Westen des Landes respektiert zu werden.

Mit der Begeisterung für schrille Kung-Fu-Filme aus Hongkong, wie sie in den 70er Jahren in Mode waren, fing alles an. Ideale, Attitüden und Mimik finster dreinschauender junger Männer, die in Prügel-Streifen wie „Mystery of Chessboxing“ oder „Shaolin vs. Wu-Tang“ ihre Gegner mit einfachen Handkantenschlägen durch die Lüfte wirbeln, ließ man gerne in die eigene Ghettowelt einfließen. Eine Marotte, die gerade im New Yorker Umfeld gepflegt und vom Wu-Tang Clan schließlich auf HipHop-Ebene kultiviert wurde.

Prince Rakeem „The RZA“, einer der acht MCs und Produzent der Truppe, erklärt, was Wu-Tang ist: „Wu-Tang is the swordstyle in Kung-Fu. It's like the fattest swordstyle. Your tongue, that's the double-edged sword.“ Mit dem Waffenfetischismus des Westküsten Gangsta-Rap hat das also nichts zu tun. Alle Clan-Mitglieder haben natürlich die Kampfsportarten der Shaolin studiert und sich dem Islam angeschlossen. Im Gegensatz zu den sonst üblichen Posses bezeichnen sie sich bewußt als Clan. „Erklärst du einem von uns den Krieg, dann kämpfst du gegen uns alle,“ warnt Prince Rakeem. Davor ist dringend abzuraten, nicht zuletzt weil der Clan mehrere hundert Anhänger hat.

Doch gefightet wird in der Regel in Form von Rap-Contests auf der Bühne: Um in der verbalen Schlacht nicht unterzugehen, sollte jeder MC seinen persönlichen Reimstil zur Perfektion bringen. Ob hardcore-mäßig gröhlend, im Singsang oder in klassischem Sprechgesang – die acht Stimmen des Wu-Tang Clan dreschen in vielfacher Weise aufeinander ein. Bei ihren Auftritten in New York streiten sich manchmal sogar bis zu 20 MCs gleichzeitig, während zahlreiche Clan-Mitglieder die ersten Reihen füllen.

Zugegeben – das Ergebnis ist für ungeschulte Ohren nicht gerade leicht verdaulich. So viel geballte Kraft chinesischer Weisheit wirkt schon mal chaotisch. Auch die Skills der einzelnen Rapper mögen so manch einem fragwürdig erscheinen. Die kargen Beats kommen recht düster daher und das Scratching hört sich an wie das Pfeifen niedersausender Schwerter. Doch das ist natürlich alles nur eine Frage der Hörgewohnheiten. Den Puristen gefällt dagegen der völlige Verzicht auf Cross-over- Anklänge, die momentan so viele aktuelle HipHop-Acts verwässern.

Vom Kommerz der heutigen HipHop-Industrie will man sich eher distanzieren. Noch vor dem Longplayer „Enter the Wu-Tang“ entstand die Single „Method Man/ Protect Ya Neck“, die für gerade mal 5.000 Dollar auf einem eigenen Label produziert und auf der Straße aus dem Kofferraum heraus verkauft wurde. Mittlerweile hat zwar das Majorlabel Loud/RCA den Clan übernommen, doch der Freiraum, unabhängig voneinander Platten zu produzieren, ist geblieben: man denke an diverse Soloprojekte von Method Man und Rakeem, oder das Debut des Wu- Tang Shorties Shyheim, ebenfalls von Prince Rakeem produziert. Bemerkenswert ist auch das Album der Gravediggaz – eine nekrophile Splatterposse –, in dem sowohl der Prince als auch Genius „The GZA“ ihre Finger haben. Man gibt sich selbstbewußt, und das aus gutem Grund. MC Genius: „unser Talent ist zu groß, um uns einzuengen. Wir müssen expandieren!“ Kirsten Niemann

Heute, 21.30 Uhr im Marquee, Hauptstraße 30, Schöneberg.