Experimente der Turnschuhgeneration

Hochtechnologie-Standort Berlin – eine taz-Serie (Teil 2) / Im Forschungs- und Technologiepark Adlershof hat der Aufschwung begonnen – mit viel Geld und vielen Hindernissen  ■ Von Hannes Koch

In Wissenschaft und Forschung sei Berlin Spitze, meint der Senat. In der Stadt entwickelte innovative Produkte sollen in den kommenden Jahren Zehntausende Arbeitsplätze schaffen und auswärtige Unternehmen anlocken. Was dran ist an den Hoffnungen auf Berlin als High- Tech-City, beschreibt die taz in einer fünfteiligen Serie.

Am S-Bahnhof Adlershof poltert der mit Baumaterial beladene, museumsreife Lastwagen in ein tiefes Schlagloch. Nachdem braunes Regenwasser über den Gehweg gespritzt ist, fragt der Fahrer einen verschreckten Passanten, welche Straße zum Innovationszentrum führe. So schlecht wie das Kopfsteinpflaster sind auch die Hinweisschilder im südöstlichen Teil Berlins. Der Weg zum Forschungs- und Technologiepark ist lang und holprig.

Entlang der Rudower Chaussee, der Hauptstraße des geplanten Hochtechnologie-Mekkas Adlershof, ist über weite Strecken von Zukunftsinvestitionen noch nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil: Wo in Zukunft die naturwissenschaftlichen Fachbereiche der Humboldt- Universität ihr neues Domizil finden sollen, beschäftigt sich das Arbeitsamt Treptow mit der Verwaltung der Wirtschaftskrise. Und wer nach Computer- und Laserlaboren sucht, trifft zunächst einmal auf Gebrauchtwagenhändler, Kosmetikstudios und Fliesensonderangebote.

Aber es passiert etwas. Nach jahrelangem Hickhack zwischen den Senatsverwaltungen für Wirtschaft, Unmwelt, Bauen und Wissenschaft, die sich berufen fühlten, ihre jeweiligen Steckenpferde bei den Planungen in den Vordergrund zu stellen, nach diversen Architektur-Wettbewerben, dem Rausschmiß eines Geschäftsführers der Entwicklungsgesellschaft Adlershof (EGA) und verschleuderten Millionen nimmt die Konzeption jetzt praktische Formen an. In wenigen Tagen wird als Kernstück des zukünftigen High- Tech-Parks das Innovations- und Gründerzentrum (IGZ) eröffnet, in dem kleine Unternehmen übergangsweise für einige Jahre eine subventionierte und damit bezahlbare Heimstatt finden.

Adlershof: Das Projekt „von europäischen Ausmaßen“, so Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD), steht für die große Hoffnung auf den wirtschaftlichen Aufschwung Berlins. Hier kristallisieren sich die Bemühungen um den „Wissenschafts- und Technologiestandort“. Auf einer Fläche von knapp 500 Hektar sollen in den nächsten 20 Jahren entstehen: der Technologiepark mit Hunderten von Unternehmen und Forschungsinstituten der vier Bereiche Werkstoffentwicklung, Optik und Laserphysik, Mikroelektronik und Informatik, Umwelttechnik und Chemie; ein Medienpark; der neue Campus der Humboldt-Universität für 5.000 StudentInnen; ein Kongreßzentrum sowie riesige Gewerbegebiete, in denen das produziert wird, was die ForscherInnen an der Rudower Chaussee entwickeln.

Schon heute arbeiten 1.500 WissenschaftlerInnen in 15 außeruniversitären Forschungseinrichtungen, von denen viele die direkte Nachfolge von Instituten der ehemaligen DDR-Akademie der Wissenschaften angetreten haben. Dazu kommen 145 Wirtschaftsunternehmen mit knapp 2.000 Beschäftigten, die ebenfalls zum erheblichen Teil aus der abgewickelten Akademie hervorgangenen sind.

Die Wirtschaftspolitik in Adlershof verfolgt somit gleich mehrere Ziele: Westunternehmen und -instituten neue Flächen für die zukünftige Expansion anzubieten, 30 bis 40 Prozent des Personalbestandes der DDR-Akademie mittels subventionierter Arbeitsplätze für die Wissenschaft zu retten und den Mittelstand zu schaffen, der das geplante Wirtschaftswachstum tragen muß.

So ziehen jetzt alle im Dienste der gemeinsamen Zukunft an einem Strang? Nicht ganz, es ist eher ein Aufschwung mit Hindernissen. Denn viele ehemalige Akademie- WissenschaftlerInnen, die private Entwicklungsbetriebe gegründet haben, beschweren sich, daß ihnen ein Sitz im Aufsichtsrat der EGA bislang verweigert wird. In der Tat sind von den elf Aufsichtsratsposten zehn mit Industriellen und Wissenschaftlern aus der alten BRD besetzt. Die beiden Geschäftsführer kommen aus Hamburg. Manches Unternehmen fühlt sich da geradezu in seiner wirtschaftlichen Schaffenskraft beeinträchtigt. Für sie sei es äußerst schwierig, Informationen über neue Gewerbeflächen zu erhalten und abzuschätzen, wann man wohin expandieren könne. „Wir brauchen Planungssicherheit“, meint Matthias Scholz, Geschäftsführer der Lasertechnik GmbH, die bereits in das neue Innovationszentrum eingezogen ist. „Man sollte den Firmen mehr Möglichkeiten zur Mitsprache geben.“

Zu den atmosphärischen Irritationen mögen auch Äußerungen wie diese beitragen: EGA-Geschäftsführer Ulrich Busch bezeichnet die Unternehmer gerne als „die Turnschuhgeneration“ – ein Yuppiebegriff, der auf die Ostrealität nicht so recht passen will, weil viele der gestandenen Wissenschaftler in der DDR bereits 15 oder mehr Berufsjahre hinter sich gebracht haben.

Einer der vermeintlichen Turnschuhträger, die sich abstrampeln, um in eine Marktnische vorzudringen, ist Gernot Meyer, Geschäftsführer des Institutes für Informatik in Entwurf und Fertigung GmbH (IIEF). Am Schicksal dieses Betriebes mit seinen acht Beschäftigten wird sich – ähnlich wie bei vielen anderen Unternehmen – in den nächsten Jahren entscheiden, ob das Projekt Adlershof als Ganzes auf die sichere Seite kommt oder nicht. Beim Informatik-Institut ist die schwierige Zeit der Umstrukturierung abgeschlossen, einige neue Produkte wurden entwickelt. „Jetzt beginnt die entscheidende Phase des Vertriebs“, so Meyer. Bald werde sich zeigen, ob damit Geld zu verdienen ist.

Die Informatiker hoffen zum Beispiel auf ihren „GrafiLap“ – einen kleinen, tragbaren, spritzwassergeschützten und stoßfesten Computer, der unter anderem für den Einsatz in der Architektur geeignet ist. ArchitektInnen können die Pläne für ein Haus – im Computer gespeichert – mit auf die Baustelle nehmen und die Zeichnungen vor Ort verändern, indem sie mit einem elektromagnetischen Stift über den Bildschirm fahren: Zeichnen auf dem Computer.

Produkte wie der „GrafiLap“ seien zwar nicht dazu geeignet, die Vorherrschaft japanischer und südostasiatischer Unternehmen auf dem Weltmarkt zu gefährden, könnten aber immerhin auf begrenzten Märkten als Nischenprodukt Erfolg haben, meint Meyer. Der Standort Adlershof bietet nach seiner Meinung heute schon gute Voraussetzungen, bei der Hochtechnologie schnell einen Fuß auf den Markt zu bekommen. Wegen der dichten Zusammenballung von Unternehmen ähnlicher Branchen „kann man mal um die Ecke zu den Kollegen gehen“ und zusammen rasch eine Lösung für technische Probleme finden.

Ein Beispiel für diesen Synergie-Effekt: Das Institut für Informatik arbeitet eng mit dem benachbarten Laser Labor zusammen. Dortige SpezialistInnen entwickelten ein Meßsystem, dessen Laserstrahlen Gebäude abtasten können. Die Informatiker des IIEF erstellen dazu eine Hard- und Softwarelösung, die die Laserstrahlen auswertet, speichert und den Laser interaktiv ansteuert. Ergebnis sind computergestützte, dreidimensionale Modelle von Gebäuden, die die ArchitektInnen für ihre Arbeit weiterverwenden können. Das lästige Ausmessen jeder einzelnen Ecke mit dem Maßband fällt weitgehend weg.

Ähnliche Versuche neuer Entwicklungen gibt es zu Hunderten, wahrscheinlich zu Tausenden in Adlershof. Wenn die Produkte einschlagen, sind die 1,7 Milliarden Mark, die in den kommenden zehn Jahren alleine in den Technologie- Park investiert werden sollen, gut angelegt. Doch der Erfolg ist noch lange nicht sicher.

Wegen der Orientierung auf Forschung und Synergie sei das Projekt ein Schritt in die richtige Richtung, „auch wenn es nicht klappt“, meint David Audretsch, Ökonom und Innovationsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin. Schließlich könne niemand genau wissen, welche Produkte in zehn Jahren wirklich gefragt sein würden. Außerdem schläft auch die Konkurrenz nicht, andere Regionen setzen auf die gleichen High- Tech-Produkte. Und wenn die Grundstückspreise in den Wissenschaftsparks des Ruhrgebiets in Dortmund und Gelsenkirchen niedriger sind, ziehen die Unternehmen dorthin anstatt nach Berlin.

Sorgen macht Ökonom Audretsch im übrigen die Dimension des Vorhabens. „Wo in der Welt hat so ein großes Projekt schon mal zum Erfolg geführt?“ fragt er sich. Je größer der Wissenschaftspark, desto stärker die mögliche Geldvernichtung durch bürokratische Reibungsverluste. Ein einziges positives Beispiel fällt ihm schließlich ein: das sogenannte „Forschungs-Dreieck“ im amerikanischen Bundesstaat North Carolina. Für EGA-Chef Ulrich Busch dagegen sind die gigantischen Dimensionen eher Garantie des Erfolgs als Gefahr. Das „Pilotprojekt der deutschen Wirtschaft“ biete die einmalige Chance, im Berliner Südosten binnen 20 Jahren 30.000 High-Tech-Arbeitsplätze zu schaffen. Sonderangebote für Fliesen und Löcher im Kopfsteinpflaster sollen dann der Vergangenheit angehören.