Sechs aus neunundvierzig Von Klaudia Brunst

Sonst machen wir sowas natürlich nicht. Aber wenn es doch jetzt alle machen? „Dann müssen wir auch“, fand meine Freundin gestern und kam mit einem Packen Lottoformulare nach Hause. „Natürlich weiß ich, daß die Chance auf den Jackpot so groß ist, wie viermal vom Blitz erschlagen zu werden“, nahm sie meine Einwände schon im Türrahmen vorweg. „Aber wie soll einem das Glück hold sein, wenn man es nicht einmal herausfordert?“

„Es gibt 1,4 Milliarden mögliche Zahlenkombinationen!“ versuchte ich matt, sie von ihrem Enthusiasmus abzubringen, sah dann aber sofort ein, daß jede vernünftige Gegenwehr angesichts eines solchen Jackpots („Natürlich spenden wir einen Teil des Gewinnes“) bestenfalls als Spielverderberei ausgelegt werden würde. Es blieb die Frage, wie man eigentlich Lotto spielt. Klugerweise hatte meine Freundin die Essentials schon bei unserer Zeitungshändlerin um die Ecke recherchiert: „Man muß auf jeden Fall in den dafür vorgesehenen Kästchen bleiben“, erklärte sie mir fachkundig, „sonst schmeißt die Zählmaschine den Schein raus — und vorbei ist es mit dem Glück!“ Dann gäbe es da noch das „Spiel 77“, (das aber doof sei), ein Mysterium namens „Super 6“, (das wir sicherheitshalber ankreuzten, weil meine Freundin vergessen hatte, was es damit auf sich hat) und unsere persönliche Glückszahl (4).

Lange debattierten wir darüber, wie viele Tips wir abgeben sollten. Meine Freundin, die stolz darauf verweisen kann, ihre Steuerformulare stets lückenlos auszufüllen, war natürlich für alle zehn vorgegebenen Felder. Ich dagegen dachte an unsere Zukunft: „Sieh mal“, gemahnte ich an die Tragweite unserer Unternehmung, „wenn wir erst mal gewonnen haben, und die Bild titelt ,Wahnsinn! Zwei Lesbierinnen knackten den Jackpot‘, dann will ich den Reportern sagen können: ,Wissen Sie, wir haben ja nur ein einziges Mal gespielt – und nun das ...‘ So was kommt nämlich immer gut an. Glaub' mir, ich kenn' die Branche.“

Gegen meine Sachkompetenz in Medienfragen wollte sich meine Freundin dann doch nicht stellen, also wechselte sie taktisch geschickt das Diskussionsfeld: „Und welche Zahlen nehmen wir?“ Sie persönlich sei für die eins, die vier und die neun „wegen unserer Geburtstage“, und die zehn und die zwanzig, „weil wir uns an einem zwanzigsten Oktober kennengelernt haben“ und die sechsunddreißig, „weil es unsere Hausnummer ist.“ Ich fand das keine so glückliche Idee, denn jedes Kind weiß doch, daß alle Zahlen unter einunddreißig lausige Quoten bringen. „Das mit den Geburtstagen machen nämlich alle“, wandte ich ein. „Man muß sich in Glücksangelegenheiten in jedem Fall antizyklisch verhalten.“ Nach langem Hin und Her einigten wir uns dann auf die Inversen unserer Glückszahlen: Statt der 1 die 48, statt 4 die 45. Aus 9 wurde 40, aus 10 eine 39, aus 20 die 29 und aus der 36 die 13.

„Warum steht da eigentlich ,Lotto am Mittwoch‘?“ fragte ich irritiert, während ich unsere inversen Glückszahlen auf den Schein übertrug. Eine Sekunde lang starrte meine Freundin ungläubig auf das Lottoformular. Aber sie faßte sich rasch: „Weil wir Mittwochslotto spielen. Hast du nicht eben selbst gesagt, man müsse sich in Glücksangelegenheiten immer antizyklisch verhalten?“