Hurra, wir leben noch!

Fußball-Länderspiel Rußland – Deutschland 0:1 / Beim Neubeginn nach der Weltmeisterschaftspleite blieb in Moskau alles beim alten  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – „Wir sind nach wie vor eine der besten Mannschaften der Welt“, hatte der unverbesserliche Bundestrainer Berti Vogts bei seiner ersten Pressekonferenz nach der WM fröhlich in die Lande posaunt, und der runderneuerte Mannschaftskapitän Lothar Matthäus erklärte nach der internen Aussprache der WM-Teilnehmer arglos: „Wir wissen immer noch nicht, warum wir gegen Bulgarien ausgeschieden sind.“ So viel geballte Ignoranz verwundert, und das nächste Debakel scheint unter diesen Umständen vorprogrammiert. Das Länderspiel gegen Rußland zeigte nämlich sehr deutlich, warum das DFB-Team bei der WM scheiterte. Weit entfernt davon, Weltklasse zu verkörpern, stellt es allenfalls europäisches Mittelmaß dar. Und das heißt in heutigen Fußballzeiten: Es ist in der Lage, gegen Italien, England oder eben Rußland zu gewinnen, kann aber genausogut gegen Portugal, Moldawien oder eben Bulgarien verlieren.

Im Moskauer Zentralstadion jedenfalls war vom verkündeten Neubeginn nichts zu sehen, die Mannschaft spielte genau wie bei der WM. Ein antiquiertes, relativ solides Abwehrsystem mit einem Ausputzer Matthäus und vorne zwei gefährlichen Spitzen, diesmal Kuntz und Klinsmann, auf deren Geniestreiche man seine Hoffnungen setzt. Dazwischen passiert nicht viel. Es ist lange her, daß das deutsche Team ein Länderspiel im Mittelfeld dominiert hat. Ein emsiger Häßler und ein fast unsichtbarer Basler genügten in Moskau nicht, um ein sinnvolles Kombinationsspiel aufzuziehen, erst als nach einer Stunde Andreas Möller für den Bremer Mario Basler kam, kehrte etwas mehr Kreativität ein.

Ansonsten gehörte das Mittelfeld den Russen, die beim ersten Match mit ihrem neuen Trainer Oleg Romanzew sehr hübsche Doppel- und Dreifachpässe aufführten, dem Tor von Andreas Köpke aber mit ihrer einzigen Spitze Sergei Kirjakow nur selten gefährlich werden konnte. Dennoch hatten die Deutschen Glück, daß Schalimow nur den Pfosten traf (23.), Köpke einen Pjatnitzki- Schuß glänzend parierte, Zimbalar knapp vorbeischoß (59.) und der polnische Schiedsrichter Werner den Gastgebern zwei Elfmeter verweigerte.

Dagegen standen Möllers Schuß ans Lattenkreuz (85.) und nach krassen Abwehrfehlern klare Chancen von Kuntz (38./58.) und Klinsmannn (72.), die von den beiden Angreifern jedoch verstolpert wurden. Sie hatten ihr Meisterstück bereits in der 7. Minute geliefert, als Kuntz nach einem Paß von Klinsmann den russischen Libero Nikiforow gleich dreimal leerlaufen ließ und das 1:0 schoß.

Ein Tor, das manchem deutschen Kicker einige Fuder Sand in die Augen streute. „Es war ein verdienter Erfolg. Es hätte auch 4:2 ausgehen können“, behauptete Lothar Matthäus, Jürgen Kohler sah „ein Superspiel von beiden Mannschaften“ und Thomas Strunz verstieg sich gar zu der Aussage: „Es hätte gut und gern auch 3:0 oder 5:0 für uns ausgehen können.“ Klarer sah da schon Berti Vogts. „Es war ein glücklicher Sieg. Ich bin froh, daß die Mannschaft gezeigt hat, daß sie noch lebt.“ Das zumindest kann man der Mannschaft tatsächlich nicht absprechen.

Wie lange der Bundestrainer allerdings noch mit der Mannschaft leben wird, bleibt abzuwarten. Trotz aller Bemühungen des DFB, eine härtere Linie durchzusetzen und den Nationalspielern gutes Benehmen, unverbrüchliche Loyalität und größere verbale Disziplin einzutrichtern, begannen die zentralen Figuren gleich nach dem Match damit, Berti Vogts systematisch zu demontieren. Da wäre Lothar Matthäus, den der Bundestrainer zu einem der Sündenböcke der WM erklärt hatte und erst nach ausgiebiger Bedenkzeit wieder ins Team holte. Matthäus müsse den Libero wesentlich offensiver als in den USA spielen, hatte Vogts unmißverständlich, kategorisch und mit einem drohenden Beben in der Stimme gefordert. Doch Matthäus machte deutlich, daß ihn die Ansichten des Bundestrainers einen feuchten Kehricht interessieren. „Mich kann man in nichts reinzwingen“, verkündete er gewohnt selbstherrlich und stellte nach dem Match mit ketzerischer Befriedigung fest: „Es ist gutgegangen, auch Trainer liegen mit ihrer Einschätzung manchmal falsch.“

Andy Möller übte sich, durch seinen Lattenschuß und seine belebende Wirkung auf dem Spielfeld auto-euphorisiert, sogar in Ironie. „Alles war in Ordnung“, kommentierte der Dortmunder, „bis auf ein paar Unstimmigkeiten.“ Und welche Unstimmigkeiten waren das wohl? „Ich hätte von Anfang an spielen müssen.“ Künftig, da ist sich der bei der WM noch so kleinlaute Möller sicher, wird das auch Berti Vogts („er kennt mich, ich kenne ihn“) einsehen müssen. „Beim nächsten Mal spiele ich von Anfang an“, dekretierte der 27jährige, der das Spielfeld diesmal mit der demütigenden Nummer 15 auf dem Rücken betreten mußte.

Das nächste Mal, das ist am 12. Oktober in Budapest das Freundschaftsspiel gegen Ungarn. Dort kann der „Neubeginn“ ein weiteres Mal geprobt werden, dann wird es ernst. Europameisterschafts-Qualifikation am 16. November in Tirana gegen Albanien, am 14. Dezember in Kischinew gegen Moldawien. Eigentlich kein Problem für eine der besten Mannschaften der Welt.

Deutschland: Köpke - Matthäus - Kohler, Helmer, - Strunz, Häßler, Basler (60. Möller), Eilts, Weber - Klinsmann, Kuntz (75. Riedle)

Zuschauer: 32.000; Tor: 0:1 Kuntz (7.)

Rußland: Tschertschessow - Nikiforow - Mamedow, Onopko, Kulkow, - Kanchelskis (46. Karpin), Pjatnitzki, Schalimow (46. Tetradze), Zimbalar - Koliwanow (46. Radschenko), Kirjakow