Zwischen den Rillen
: Weltgewissen. Und dann das Sofa

■ Neil Young – Elder statesman und Einflußgeber für junge Bands

„Zu persönlich“ seien die Songs. Neil Young könne und wolle sie einfach nicht medial ankoppeln und erklären, nur um sie dann doch mißverständlich interpretiert und vervielfältigt zu sehen – so Manager Elliot Roberts zum augenblicklichen, eigentlich sehr rituellen Verzicht seines Schützlings auf Interviews (und auch Konzerte) anläßlich des neuesten Albums „Sleep With Angels“. Persönlich, vor allem gefühlsüberladen waren Youngs Alben von jeher; die Tragödien seines Lebens fanden – mal versteckt, mal offensichtlich – immer auch Einlaß in die Aufnahmen der jeweiligen Alben, waren Teil ihrer Produktionsbedingungen. Und diesmal hat das Schicksal erneut mit voller Wucht und unergründlicher Macht zugeschlagen: Krankheiten en famille, der Tod einer Freundin bei einem sogenannten Drive-by-Shooting, Cobains Tod, dessen fälschliche Inanspruchnahme von Youngs „It's better to burn out than to fade away“. Trauer und Rückzug stehen nun ganz vorne auf dem Masterplan, der Mann ist sensibel, sein Leid einzigartig (?). Folglich ist aus „Sleep With Angels“ kein zweites „Freedom“ geworden, kein Stimmungsbild der Welt, kein die Lage der Nation austarierender Entwurf, sondern ein nüchtern-sentimentales Epos, das die (persönlichen) Ereignisse der jüngeren Vergangenheit Revue passieren läßt. Eingespielt mit seiner liebsten Backband, den Crazy Horses, erwartete man von „Sleep With Angels“ musikalisch zumindest einen richtigen Rocker, Songs wie „Powderfinger“ oder „Cortez The Killer“ im Dutzend, besonders als Kontrapunkt zu dem kitschigen, schmalzigen 92er Album „Harvest Moon“.

Doch Tragik verlangt ihren Preis, und so sind auch auf „Sleep With Angels“ größtenteils ruhige, intensive Songs mit wunderschönen Melodien; Songs jedoch, die sehr genau die Spannbreite zwischen energischer Wut und leiser Verzweiflung ausloten, die zwischen laxer Coolness und der Hingabe an die „wahren“ Werte des Lebens pendeln. Im Zentrum steht das 15minütige „Change Your Mind“, eine lange und zähe Ode auf die Liebe: „When life's complete, but there is something missing still“, dann kann das nur dies magische, verrückte kleine Ding, genannt Liebe, sein, das von den Crazy Horses bis in den kleinsten Gitarrenzipfel gemächlich ausgewalzt wird.

Aber Young wäre nicht er selbst, wenn er Sicherheiten nicht immer wieder in Frage stellen würde, „my live, I will give to you it's true, although I'm not sure what love can do“ („My Heart“). Der ewige Drang nach Freiheit, die unumgänglichen, doch unwiderruflich verlorenen Westernmythen à la „I'm so lonesome, but nature saves my life“, die Unerläßlichkeit von Träumen: Neil Young versorgt uns natürlich auch damit, auch wenn manche Geschichte, die er erzählt, reichlich krude und phantastisch ist: „I feel like I died and went to heaven, the cupboards are bare but the streets are paved with gold.“ Doch vergessen sollte man nicht, daß, trotz allem, bei Young zuvorderst die Poesie gilt, allen voran der Künstler steht, der geschickt sein Leben zu erhöhen weiß.

Väter und Söhne, in enger Nähe und doch so weit: Neil Young gilt ja als Elder statesman und Einflußgeber für ganze Scharen junger und neuer Bands. J. Mascis von Dinosaur jr. ist zumindest einer seiner glühendsten Verehrer: Auf einem Tributalbum ließ er mit einer wüsten Version von „Lotta Love“ das Herz und die Ohren des „Meisters“ vor Wonne und Dankbarkeit erzittern, und auch auf seinem letzten Album, „Where You Been“, streute er eine Hommage per Coverversion ein. Ansonsten aber? Dinosaur jr. respektive J. Mascis profilierte sich in einem relativ kurzen Zeitraum als Noise-Rock- Erneuerer, als der Pop-Entwurf für die Neunziger und schließlich als Alternativmodell und Refugium für genervte Grunge- Ignoranten. Nur: Mascis hatte nie im Sinn, ultimative Aussagen zur Zeit oder gar Revolution zu machen, er wollte nichts als Musiker und damit ganz er selbst sein; nur me, nie auch noch myself and I. Simpel rockistisch, weiß, mittelständisch, amerikanisch. Was nicht davor schützt, tief unten in die Gefühlskavernen reinzulugen; enttäuschend bloß, daß dort nicht viel rumort und brodelt, selbst wenn J. Mascis sich auf seinem neuesten Album „Without A Sound“ alle erdenkliche Mühe von Tiefe, Pein und Leid gibt und alle Tonlagen erbarmungswürdig rauf- und runterkrächzt. Doch Einsicht und Ehrlichkeit siegen, und so heißt es gleich zu Beginn sehr treffend: „I feel the pain of everyone, then I feel nothing“ – ein wenig Weltgewissen und dann das Sofa. Leicht auszurechnen, daß da die lärmigen, weil übersteuerten Gitarren bei Dinosaur jr. nichts anderes als Verstärker für die etwas stummelig angelegten Gefühle waren und sind. J. Mascis, der schon Haltungsschäden hatte, als sich Slackertum noch lange nicht wie ein Perpetuum mobile durch Musik, Film, Theaterrezensionen zog, bastelt mit diesem seinem sechsten Album weiter am früh angelegten Alterswerk. Und da sind die zahlreichen Wohlklangsschnitten nur noch dezent und dosiert mit dem üblichen Lärm garniert, ansonsten sollen Reife und Abgehangenheit regieren. Aber hier fehlen die Irrwege, die glaubhaften Gebrochenheiten, manche Weisheit und auch ein wenig Starrsinn, um möglicherweise dahin zu kommen, wo ein Neil Young heute steht. Die Versetzung ist geschafft, doch ohne Visionen und Zukunft. „Without A Sound“ ist nichts als schöner Stillstand, und so was hört man dann selbst nur noch sehr unaufgeregt und abgeklärt. Gerrit Bartels

Neil Young & Crazy Horses: „Sleep With Angels“

Dinosaur jr.: „Without A Sound“ (beide WEA)