: Umweltdaten in Deutschland Staatsgeheimnis
■ EU-Kommission will gegen Bundesregierung endlich Glasnost durchsetzen
Brüssel (taz) – Wer wissen will, wieviel Becquerel das benachbarte Atomkraftwerk an die Umwelt abgibt oder welche Abwässer Hoechst oder BASF in den Rhein leiten, der kann sich seit 16. Juli auf das Umweltinformationsgesetz berufen. Theoretisch. Mit 18monatiger Verspätung hat die Bundesrepublik eine europäische Richtlinie über den freien Zugang aller Bürger zu Umweltdaten in ein deutsches Gesetz gefaßt. Die Europäische Kommission jedoch hat Bedenken, ob das deutsche Gesetz ihren Anforderungen entspricht. Daher will sie Mitte September darüber beraten, ob sie gegen die Bundesrepublik ein Verfahren wegen Vertragsverletzung einleitet. Dann wird geprüft, in welchen Punkten die Deutschen gegen das Brüsseler Gesetz verstoßen.
Bisher jedenfalls wird die Industrie anstelle der Natur unter Schutz gestellt. Sollte sich Deutschland weigern, das Gesetz bis Mitte September zu verbessern, könnte das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof enden.
Bisher enthält das deutsche Gesetz eine lange Liste von Ausnahmen. Ebenso lang ist die Litanei der Beschwerden über behördliche Verweigerungen, die in Brüssel eingetroffen sind. Das Umweltministerium in Mecklenburg-Vorpommern etwa lehnte die Anfrage einer Umweltgruppe zur Mülldeponie in Schönberg ohne triftigen Grund ab und verlangte dafür auch noch saftige Gebühren.
Schon 1990, als sich die Umweltminister der zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union darauf geeinigt hatten, Umweltinformationen öffentlich zugänglich zu machen, stand Deutschland allein auf der Bremse.
Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) konnte sich mal wieder nicht gegen seine Kollegen in Bonn durchsetzen. Erst als Deutschland 1990 die Ratspräsidentschaft übernahm, habe die Richtlinie verabschiedet werden können. Dabei kam Töpfer zu Hilfe, daß jede Regierung während ihrer Ratspräsidentschaft die eigenen Interessen zurückzustellen habe, sagt Laurens Jan Brinkhorst, der bis Mai dieses Jahres als Generaldirektor die Umweltdirektion der Brüsseler Kommission leitete und heute niederländischer Europaabgeordneter ist.
Die Deutschen setzten in der EU durch, daß nur solche Behörden Auskunft geben müssen, die „Aufgaben im Bereich der Umweltpflege wahrnehmen“. Befreit sind alle diejenigen, die Umweltbelange nur zu beachten haben. So können die Straßenbaubehörden von Schleswig-Holstein jede Auskunft über die Auswirkungen von Straßenprojekten auf die Umwelt mit der Begründung verweigern, daß Umweltschutz nicht ihre Hauptaufgabe sei. Darüber ist man in Brüssel erbost. Umweltkommissar Ioannis Paleokrassas ließ der deutschen Regierung ausrichten, daß Straßenbaubehörden auch Belange der Umweltpflege wahrnehmen müssen, da Straßen beträchtliche Umweltauswirkungen haben könnten.
Außerdem sei der Zweck der Richtlinie der Zugang zu Informationen über die Umwelt, so die Kommission in einem Schreiben an den deutschen Botschafter, und zwar „unabhängig vom innerstaatlichen Behördenaufbau“.
Nach Ansicht der Kommission hat die Bundesregierung auch noch andere Formulierungen mißverstanden. Neben den üblichen Ausschlußgründen – nationale und öffentliche Sicherheit, berechtigte Wahrung von Geschäftsgeheimnissen – schränkt die Richtlinie die Auskunftspflicht der Behörden auch bei laufenden gerichtlichen Verfahren ein. Die Bonner Regierung hat diese Einschränkung auf verwaltungsbehördliche Verfahren ausgedehnt. Solange ein Bauantrag für eine Straße oder ein Genehmigungsverfahren für ein Akw läuft, können die Behörden die Rollos runterlassen.
Besonders beargwöhnt die Europäische Kommission, wie in Deutschland der Passus über die Kosten ausgelegt wird. Die Richtlinie sieht für jede Auskunft Gebühren vor, die eine vernünftige Höhe nicht überschreiten dürfen. Das deutsche Gesetz ermöglicht dagegen kostendeckende Tarife, deren Berechnungsgrundlagen kaum zu prüfen sind. In einem Fall in Hamburg, der der Kommission als Beschwerde vorliegt, stellte eine Behörde 80 Arbeitsstunden in Rechnung und verlangte für ihre Kopier-Bemühungen glatte 6.000 Mark. Alois Berger
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