Befremdendes Zusammenspiel

■ Das Ensemble Philharmonie mit Dessau-Werken in der Fabrik

„Man soll sich hüten, nur eine Art Musik zur Kenntnis zu nehmen.“ Diese Forderung Paul Dessaus wurde im jüngsten Konzert mit Kompositionen des gebürtigen Hamburgers im Rahmen des Musikfestes eindrucksvoll erfüllt. Das hervorragende Ensemble Philharmonie (Leitung: Jürg Henneberger) spielte in der Fabrik fünf Werke, die einen Zeitraum von gut 40 Jahren umfassen: Eine musikalische Vielseitigkeit, die mit Beliebigkeit nichts zu tun hat.

In den Exiljahren entstanden „Guernica“ (1938) – nach Picassos Gemälde – und die Solokantate „Les Voix“ (1939/40). Dessau vertonte ein Gedicht Verlaines, in dem die Stimmen des Hasses, Fleisches oder Zorns der Liebe entgegengesetzt werden, zu einer zwölftönig-atonalen, wuchtigen Komposition. Zu einem düster-gewaltigen Klavierpart erklingen harte Percussion und Sopranstimme, oft im Wechsel. Kraftvoll-expressiv meisterte Carmen Fuggiss ihre Partie, hielt bis zum Ende eine atemberaubende, auch schmerzhafte Spannung. Das Harmonium versank leider oft im Klangbild. „Guernica“, in einer späteren Fassung für Kammerensemble, ist in seiner rüden Atonalität eine scharfe Anklage gegen den Krieg, die ohnmächtig, sanft verklingt.

In den 20er Jahren entstanden die vier „Marienlieder“ (1924) und das Andante für Violine und Klavier (1929). Dieses Stück betitelte Dessau „Zum 50. Geburtstag von Albert Einstein“, doch erst jetzt wurde es, dank eines Hinweises von Dessaus Witwe, Ruth Berghaus, uraufgeführt: Die lyrische, romantische Violine, später mit expressiven Ausbrüchen, reibt sich an der rhythmisch oft gleichförmigen Begleitung. Auf dem Cembalo gespielt, verstärkte sich deren barocker Charakter. Ein befremdendes, widersprüchliches, faszinierendes Zusammenspiel. Carmen Fuggiss gestaltete die „Marienlieder“ angenehm zurückhaltend, zärtlich, das dritte und vierte dann leidenschaftlich bzw. kinderliedähnlich. Die erweiterte Tonalität führt zu romantischen Anklängen, sachliche, transparente, fast schlichte Passagen berührten besonders.

Ein ungewöhnliches Kapitel ost-westlicher Wechselwirkung dokumentiert Dessaus „Quattrodramma“ für vier Celli, zwei Klaviere und Schlagzeug, 1965 in Ost-Berlin entstanden, das Hans Werner Henzes Kantate „Being Beauteous“ („Wesen von Schönheit“) von 1963 zitiert. Bei Dessau wechseln ruhige Celli-Sequenzen mit energischen Schlagzeug- und Klavierstürmen. Henzes Adaption des Rimbaud-Gedichts bildete einen fragilen, gefühlsbetont-zarten Abschluß: Eingerahmt in teils sparsame, helle Celli-Quartette mit Harfenbegleitung führte eine klare, schwebende Gesangslinie, die sich bis zur erregten Koloratur-Virtuosität steigerte. Die Begeisterung des Publikums im fast ausverkauften, durchweg gelungenen Konzert und das Verdienst, Dessau vorgestellt zu haben, macht die Abschaffung des Musikfestes einmal mehr fraglich. Niels Grevsen