Wand und Boden
: Signets, Symbole, Kapseln

■ Kunst in Berlin jetzt: Valerie Sass, Medi Wangen, Michael Bause, Orient Express

Das Material, das die ungarische Künstlerin Valeria Sass fasziniert, ist das klassische Medium der Informationsgesellschaft, die Tageszeitung. Es bildet den Ausgangspunkt ihrer dreiteiligen Arbeit „Eine Projektion“ in der Galerie Ermer.

Die beiden Torflügel der Galerie sind einladend geöffnet, der Raum karg mit vier skulpturalen Zeitungsstapeln bestückt. Sass nennt die zwischen je zwei Holzpaletten aufgeschichteten Bündel mobile Einheiten. Entlang dem oberen Abschluß der Stirnwand erscheint die Diaprojektion einer blassen Landschaft, deren Ansicht durch mächtige Strommasten bestimmt ist. Die Lücke des Durchgangs zum zweiten Galerieraum hat Valeria mit einer Doppelseite des Tagesspiegels geschlossen. Allerdings hat sie aus dieser Doppelseite die Fotos herausgeschnitten. Durch diese Leerstellen fällt das Licht der Diaprojektion in unregelmäßigen Gevierten auf die nächste Wand. Die Projektion ist in dieser Entfernung so blaß, daß die fragmentierte Landschaft nur noch als leicht verunreinigte Lichtflecken erscheint, während sie im Durchgang vom Zeitungstext fast verschluckt wird. Der Doppelcodierung der Landschaft durch den Strom von Elektrizität und Nachrichten setzen die Zeichnungen Widerstand entgegen. Übereinandergeschoben, immer zwei im hellen Holzrahmen, wiederholen sie zwar die Zeitungsdoppelseite, aber die blauen Pinselspuren als direkte gestische Interaktion machen deutlich, was die Kunst, respektive die Künstlerin den ausgeschnittenen und vernichteten technischen Bildern entgegenzusetzen hat: Bilderfindung.

Bis 30.9., Di.–Fr. 16–19, Sa 13–17 Uhr, Knesebeckstraße 97, Charlottenburg

Codiert, durch Bildzeichen, Piktogramme und Symbole geprägt, geordnet, kommunikativ verfügbar gemacht, ist auch die Lebenswelt in Medi Wangens „Neuen Arbeiten“ in der Galerie Vierte Etage. „The Color of Money“, eine wandfüllende Arbeit von Münzprägungen exotischer Länder, bezeichnet das älteste und weltumspannendste dieser Kommunikationssysteme. Doch Code ist nicht immer gleich abstrahiertes Zeichen wie hier mit Kohle auf rote Stoffquadrate skizziert. Die Kreidenachzeichnungen der Portraits der belle donne, die die Geldscheine der Bundesrepublik Deutschland schmücken, zeigen im dichten grafischen Strich naturalistische Anschaulichkeit. Bild und Geld waren schon immer die zwei Seiten der Medaille. Macht, Status und Reichtum repräsentieren heute vielfach die Logos und Signets der Markenartikel. Die Werbeindustrie macht sich die alten Bildvorstellungen und den traditionellen Bildgebrauch zu Nutzen und modernisiert ihn in Namen wie Gucci, Rolex, Boss oder MCM. „Second Skin“ zeigt diese Logos in rotem Lack auf schwarz-goldenem Untergrund. Ist unsere republikanische Identität in dieser Farbwahl als eine des Konsums bezeichnet? Die Arbeit „Soft Parade“ gilt dem Schlafmohn. „Stoned immaculate“ ist auf einen Diastreifen mit Bildern Harvey Keitels notiert. Eine Mohnkapsel ruht im samtenem Etui. Farbkopien aus Botanikbüchern und eine Postkarte mit Mohnkapselsignet und Münzstempeln vervollständigen die Installation an der Wand. Der Zusammenhang mit der Bildwelt der Signets und Symbole ist lose, die stilisierte Mohnkapsel taucht aber dann auch als schwarzes Tuschesignal auf einer roten Fahne auf.

Bis 8.10., Mi.–Sa. 16–19 Uhr, Bregenzer Straße 10, Wilmersdorf

Signets und vereinfachte Bildzeichen mit Signalfunktion interessieren auch den Berliner Künstler Michael Bause. Im Türkischen Kulturzentrum zeigt er seine „Istanbuler Blätter“, rund 50 Collagen, die während seines Stipendiums in dieser Stadt zwischen Okzident und Orient entstanden. Michael Bause fand hier Papier, das es in Geschäften nicht zu kaufen gibt, aber von Geschäften verwendet wird: Einwickelpapier von Reinigungen etwa, mit anonymen Stempeldrucken eines steifen Mantels oder einer propper gekleideten Familie. In altmodischer Manier stilisierte Eistüten oder dampfende Kaffeetassen zeigen Signets, die noch nicht im industriellen Grafikdesign auf Vordermann gebracht wurden. Bauses Collagen sind zweigeteilt, ihre rechte Seite tendenziell monochrom, die linke tendenziell narrativ angelegt. Sie sind mehrfach geschichtet, auf der rechten Seite verschwimmt das Papierornament unter farbigen Transparentfolien in eine einheitliche Farbigkeit, auf der linken erinnern vier sternförmig um einen Kreis aus Schnittmusterpapier angeordnete Fotografien von verschleierten Damen an das osmanische Reich. Die Überlagerung gilt nicht nur der Ansicht verschiedener Fundstücke und Papiersorten unterschiedlicher Muster, Farben und Motive, sondern zitiert die Ungleichzeitigkeit des Alltags, Relikte der Tradition und den Trash der Gegenwart ins Bild.

Bis 30.9., Di.–Sa. 10–16 Uhr, Stavanger Straße 16, Pankow

Signets, Signets, Signets. Auch Raffael Rheinsberg inszeniert eines für den „Orient-Express“. 1.500 Schaufelblätter und Sicheln ornamentieren einen eisernen Teppich. Ursprünglich im Yildiz Palast in Istanbul angelegt, reflektierte dieses Kunstfeld die Waffendarstellungen der Decke des Ausstellungssaals. In der ehemaligen Krankenhauskapelle des Studio I im Künstlerhaus Bethanien allerdings funktioniert die Sache nicht mehr so recht: zu sakral, zu pompös. Auf der Galerie beleuchtet Ahmet Öktem die gehängte Loseblattsammlung des türkischen Gesetzbuches in kaltem Neonblau. Auch der daneben aufgemalte Satz „die Gesetze werden vom Gesetzgeber erlassen und behalten ihre Gültigkeit solange die Voraussetzungen dafür gegeben sind“ ist in kein schöneres Licht gerückt. Erkan Özdilek hat ein nomadisches Zelt aus Kokons aus Bursa, dem Zentrum der Seidenindustrie, aufgestellt. Özdilek versteht den Kokon als Metapher für die Situation der türkischen Minorität in Deutschland.

Das alles gibt sich vornehm, gerade in der Reduktion. Elegant sind die mit Kupfer und Leder bekleideten Tafelbilder von Inci Eviner. „Körper-Erd-Kunde“ benannt, mischen sich grafische und malerische Elemente mit dreidimensionalen Objekten. Geo- und Autobiographie in einem. Serhat Kiraz untersucht Wissenschaft und Urkultur mit Hilfe zweier paralleler Baugerüste. Eines ist leer, nur von ultraviolettem und infrarotem Licht bestrahlt, das andere in komplexer Anordnung mit Bildern von fernen Sternenwelten, Sinuskurven, frischen Feigenblättern, Leonardos Embryozeichnung bestückt. Der Mensch und seine Erkenntnis der Welt im Konstrukt als Konstruktion verdeutlicht.

Bis 25.9., tägl. außer Mo. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2, Kreuzberg Brigitte Werneburg