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■ Lido-KinoEin doppelbödiger Serienmord an der Wirklichkeit

Joyce Carol Oates hat unlängst in der New York Review of Books bemerkt, daß die Serienmörder langsam das geworden sind, was früher Indianer, Kinder, Verrückte oder Cowboys waren: unsere Edlen Wilden. Aus John Wayne wird John Wayne Gacy, der Massenmörder, und es ist gewiß kein Zufall, daß der Killer in „Das Schweigen der Lämmer“ den Spitznamen „Buffalo Bill“ trägt.

Oliver Stone stellte seinen neuen Film „Natural Born Killers“ vor, der sich auf ein Drehbuch von Quentin Tarrantino stützt, dessen nicht eben sanfte Hand man denn auch an allen Ecken und Enden bemerkt. Aber auch Tarrantino konnte nicht verhindern, daß der Spießer in Stone immer wieder mit Macht durchbricht. Schuld an der Geburt von Mickey und Mallory Knox (Woody Harrelson und Juliette Lewis), dem Paar, das die „Landschaft wie zwei Rasiermesser durchstreift“, sind nämlich – hätten Sie's gewußt? – die Medien! Und das kam so: Mallory ist das Produkt einer Sitcom, einer von diesen, die vor einem Studiopublikum gespielt werden, das man dann immer lachen hört. Geschnitten wird im MTV-Rhythmus, bei dem man immer mitmuß, auch wenn man längst durch das Flickern sediert ist. Diese Sitcom, die sich selbst verrät – der Inzest ist genausowenig herausredigiert wie die soziale Dekomposition –, ist wohl noch der intelligenteste Teil des Films. Schwarzweiß und bunt flickert die Leinwand, Nostalgie, Reportage, Musical oder David-Lynch-Imitate, jeweils mit Blutspritzern drauf, wechseln einander ab im Sekundenrhythmus. Staccato ist nicht der richtige Ausdruck; Stone hat diesmal beschlossen, seinen Film unter Umgehung der kognitiven Hirnareale direkt i. v. zu injizieren, wie eine Todesspritze. Ist das Fascho- Kino?

Vater und Mutter werden gemetzelt, und ab geht's on the road, natürlich im Südwesten, der inzwischen zum Serial-Killer-Territorium par excellence avanciert ist. Auf der Blutspur folgt der TV- Journalist Wayne Gale, der die Sache natürlich live fürs Pay-TV haben will. Offenbar hat Stone „Mann beißt Hund“ gesehen und gefunden, es sei Zeit für dessen Amerikanisierung mittels Fast food, Wizzard-of-Oz-Einsprengseln und eines Soundtracks, der vom späten Leonard Cohen über Bob Dylan bis hin zu Patty Smith' „Rock 'n' Roll Nigger“ reicht. Am Ende möchte man sich waschen. Von der hemmungslosen Doppelbödigkeit, mit der „Natural Born Killers“ exploitiert, was er verdammt, war ein bißchen auch die Konferenz „Neue Technologien im audiovisuellen Bereich“ angegangen. Während auf der Konferenzleinwand hübsche Blow-ups, Flammenspiele, Verschwinde- Tricks bewundert wurden, warnte man auf dem Podium vor dem drohenden Realitätsverlust. Der arme Wenders hatte es wieder mit dem „Versagen vor der Wirklichkeit“, dessen sich die Kollegen Regisseure schuldig gemacht hätten, und bedauerte ansonsten lächelnd, nicht besonders gut vorbereitet zu sein. Vom Mißtrauen war die Rede, welches das Publikum nun dem Bild entgegenbringen werde; als sei nicht längst die wahrste Fotografie aller Zeiten, der fallende Soldat aus dem Spanischen Bürgerkrieg, als Fake entlarvt.

Über all diese Dinge hätte man am Abend gern mit Wolf Donner geweint, der letztes Jahr noch hier war mit uns. Die Nachricht von seinem Tod hat dem Festival für viele, die ihn kannten, den elan vital genommen – von hier ab ist alles Pflicht. mn

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