Cruise-Missiles zu Bestsellern!

Glücksfall Golfkrieg – Über Frederick Forsyth' neuen Thriller „Die Faust Gottes“  ■ Von Karl Wegmann

Der Golfkrieg war für viele Kriegsgewinnler ein Glücksfall – ganz besonders aber für die alten und neuen Politthriller-Autoren. Denn nach der bedingungslosen und recht unspektakulären Kapitulation, die das „Reich des Bösen“ gar nicht erst angeboten, sondern gleich vollzogen hatte, hatte für ein ganzes Genre die Sauregurkenzeit begonnen. Der Kalte Krieg hatte sie Jahrzehnte hindurch alle prächtig ernährt, und dann das: nicht einmal das Ende ließ sich effektvoll ausschlachten. Es gab zwar noch ein paar leichte Nachwehen, aber niemand interessierte sich mehr groß für KGB-Spione und CIA-Agenten. Verzweifelt suchten die Thrillerschreiber ein neues Thema, wie Wespen auf ein offenes Marmeladenglas stürzten sie sich auf arabische Terroristen, internationale Waffenhändler und kolumbianische Drogenkartelle. Doch ein richtiger Hit, ein „Spion, der aus der Kälte kam“, wurde nicht geboren.

Rauchende Colts

Plötzlich, am 2. August 1990, rauchten wieder die Colts. Saddam Hussein tat dem um seine Wiederwahl bemühten George Bush und den phantasielosen Unterhaltungsschriftstellern einen Gefallen und ließ seine Armee über Kuwait herfallen. „Man braucht kein Held zu sein, Soldaten in den Krieg zu schicken“, tönte General H. Norman Schwarzkopf kurz darauf, „man muß jedoch ein Held sein, um zu denen zu gehören, die in den Krieg ziehen.“ Obwohl jeder halbwegs vernünftige Mensch widersprochen hätte, weil er weiß, daß sich nur ein Dummkopf gerne in den Krieg schicken läßt, erkannten die Genreschreiber natürlich sofort das Potential, das in diesem markigen Spruch steckte. Hinzu kamen noch ein paar flotte Prahlereien, wie die des Vorsitzenden der Vereinten Stabschefs, Colin Powell, der erklärte: „Durch die neuen Waffen ist das möglich geworden, wovon man glaubte, es sei nur mit Atomwaffen machbar.“ Das hörte sich gut, das hörte sich nach High-Tech-Thriller an. Die schicken Fernsehbilder von lasergelenkten Bomben, die punktgenau ihr Ziel treffen, von tieffliegenden Cruise-Missiles in der Abendsonne über Bagdad, taten ein übriges. Es war soweit. Die Thrillerschreiber entstaubten ihre Schreibmaschinen, denn sie hatten endlich wieder einen Job zu erledigen.

Natürlich konnten die Autoren nicht einfach den Kampf beschreiben, denn es gab ja eigentlich keinen Kampf, also auch kein persönliches „Heldentum“. Ein B-52-Geschwader, das Bombenteppiche über die Wüste legt und Tausende von halbverhungerten Irakern in ihren Sandlöchern zerfetzt – nein, da ist kein Thrill drin. Aber die Romanschreiber setzten richtig voraus, daß so minutiös durchgeplante militärische Operationen wie „Desert Shield“ und „Desert Storm“ nicht ohne jede Menge Geheimdiensttätigkeit durchgeführt werden können. Und Geheimdienst, das heißt Spione, Agenten, Verräter, Überläufer – der Rohstoff jedes Politthrillers. Hinzu kam, daß Eingeweihte wußten, daß beispielsweise eine lasergesteuerte Bombe einen Markierungspunkt am Boden braucht, und der muß von einem Menschen gesetzt werden. Also ein Soldat mitten im Feindesland. Wunderbar. Ein weiterer, nicht unerheblicher Faktor, den die Autoren zu berücksichtigen hatten, war der, daß schon kurz nach dem Golfkrieg bekannt wurde, daß die Weltöffentlichkeit einer gigantischen Desinformationskampagne auf den Leim gegangen war. Der „Fernsehkrieg“ war reine Fiktion, Schwarzkopf der Oberkommandierende der taktischen Lügen, und auch die Berichte aus Bagdad von CNN-Star Peter Arnett waren durch die irakische Zensur entstellt. Die Weltöffentlichkeit war sauer. Journalisten und Sachbuchautoren wühlten und kramten, um sie zu besänftigen und um eine schnelle Mark zu machen. Als alles geschrieben war, waren die Märchenerzähler dran.

Das üppigste Werk zum Golfkrieg legte, wie nicht anders zu erwarten, Frederyck Forsyth vor. Dabei hätte der heute 56jährige Autor eigentlich keine Zeile mehr zu Papier bringen müssen, denn mit dem „Schakal“, der „Akte Odessa“, „Des Teufels Alternative“ und anderen war er schon in den siebziger Jahren zum Multimillionär aufgestiegen. Aber dann fiel er in den späten Achtzigern dem windigen Börsenmakler Roger Levitt in die Hände. Forsyth vertraute Levitt sein gesamtes Barvermögen, rund 2,2 Millionen Pfund, an. 1993 brach die Levitt- Group zusammen, Forsyth verlor alles. Als dann auch noch die Steuerfahndung auf ihn aufmerksam wurde und ihm 500.000 Pfund an Nachzahlungen aufbrummte, war es Zeit, an den Schreibtisch zurückzukehren.

Zusammen mit seiner Freundin Sandy durchwühlte er die Akten des britischen „Institute for Strategic Studies“, sprach mit Dutzenden von Piloten, die Angriffe gegen den Irak geflogen hatten, und besuchte Kuwait. Exakte Details erhöhen die Glaubwürdigkeit einer Geschichte, das weiß der ehemaligen Journalist und Radioreporter. Forsyth fand haufenweise Details über den Golfkrieg. Sein Fehler: Er brachte sie alle in „Die Faust Gottes“ unter.

Zunächst einmal rührte der Bestsellerautor kräftig die Werbetrommel, indem er verkündete, er habe Ungeheuerliches herausgefunden. Wir seien alle falsch informiert worden über den Golfkrieg. Aha! „Gier, Geld und das Streben nach Macht führten zum eigentlichen Krieg“, erkannte der Bestsellerautor messerscharf nach seinen Recherchen. „Zuerst stopften alle, die Engländer, die Amerikaner, die Franzosen und die Deutschen, Saddam den Rachen voll mit Waffen. Danach traten ebendiese Länder, die über 95 Prozent aller High- Tech-Waffen verfügen, wieder an, um genau diese Waffen wieder zu vernichten. Verrückt.“ Genau! So platt wie wahr. Politisch korrekt. Aber wo blieben die angekündigten Neuigkeiten?

Es gab natürlich keine, und der Autor brauchte auch keine. Leser von Forsyth Büchern kennen längst den Trick, brisante Zeitthemen, reale Figuren und präzise Lokalitäten mit Phantasien über korrupte Machtmaschinisten, globale Verschwörer, Söldner, Berufskiller und einen Alleskönner von Helden zu mixen. Das Ganze möchte Forsyth dann als „Faction“ verstanden wissen. Das wäre ja auch nicht weiter schlimm, wenn er nur nicht diese übergroße Neigung zur Authentizität dazu benützen würde, eine dünne Geschichte fett zu machen.

In „Die Faust Gottes“ geht der Autor davon aus, daß Saddam eine Superkanone (Teile einer solchen Kanone sind sechs Monate vor der Invasion des Irak in Kuwait wirklich in Europa aufgetaucht) besitzt, mit der er Israel mit Nukleargeschossen treffen kann. Der Held der Geschichte (ein Held Schwarzkopfscher Prägung) ist natürlich ein Brite. Mike Martin ist Offizier der Eliteeinheit SAS und spricht perfekt Arabisch. Zuerst schickt Forsyth ihn nach Kuwait City, um den Widerstand dort aufzubauen, danach muß der Supermann in den Irak, um die Superkanone auszuschalten. Soweit die Story. Zwischen die Wege und Umwege des Helden werden dann obenerwähnte Details gepackt. Diese Anhäufung meist überflüssigen und längst bekannten Materials macht die Geschichte schwerfällig. Bei seitenlangen Beschreibungen der Schwierigkeiten beim Auffinden der Scud-Abschußrampen, bei der Erklärung der Rakete und anderer Waffensysteme, der Erläuterung des Stadtplans von Kuwait City, bei den peniblen Biographien verschiedener Protagonisten ist man geneigt, ganze Abschnitte rasch zu überblättern. Forsyth Umstandskrämerei, seine Detailgenauigkeit im Unwesentlichen, bremst die Spannung ab, die stellenweise durchaus vorhanden ist.

Unterrichtete Kreise

In „Die Faust Gottes“ wurde immer wieder auf den brillanten Rechercheur Frederick Forsyth hingewiesen, der „die Lügen des Golfkriegs“ entlarvt. Aber die Lügen hatten längst andere vor ihm entlarvt. In Bagdad selbst ist der Autor nicht gewesen, woraus man ihm keinen Vorwurf machen kann.

Wie er recherchiert, das erfuhr 1990 Ed van Thijn, der damals Bürgermeister von Amsterdam war. Van Thijn, ein Forsyth-Fan, hatte sich bei ihm beschwert, weil er in seinem Roman „Der Unterhändler“ Amsterdam als „Europas Haupstadt der Drogendealer, Terroristen und Kinderpornographen“ beschrieben hatte. „Ich fürchte“, schrieb der Bürgermeister, „daß Sie das heutige Amsterdam überhaupt nicht kennen“, und lud den Gescholtenen zu einem Besuch in der Stadt. Forsyth lehnte ab und klärte van Thijn in allen drei Punkten ausführlich über den Zustand seiner Stadt auf, nicht ohne seine Quelle zu nennen: „Meine Informationen habe ich aus langen Gesprächen mit Scotland Yard und unseren Sicherheitsdiensten.“

Frederick Forsyth: „Die Faust Gottes“. Aus dem Englischen von Wulf Bergner. Bertelsmann Verlag, 640 Seiten, geb., 48 DM