Mit Uni-Ost auf Du und Du
: Dialektik der Zukunft

■ Gerold Janssen will Siemens vor das Bundesverfassungsgericht zitieren

„Gerold Janssen hat einen Prozeß verloren, aber Siemens hat noch lange nicht gewonnen.“ So lautet der streitbare Kommentar des bekannten Umweltschützers zu dem vor wenigen Tagen verkündeten Beschluß des Münchner Landgerichts. Wie kommen die Bayern überhaupt dazu, über einen Bremer zu verhandeln?

Die Initiative ging klar von Gerold Janssen aus. Der nämlich ist nicht nur Gegner der Bebauung des Naturschutzgebietes Uni-Ost durch Siemens, sondern Kleinaktionär bei selbigem Unternehmen. Und als solcher sieht Janssen seine Rendite gefährdet: „Siemens schädigt den Ruf des Unternehmens, wenn es ökologischen Bedenken nicht nachgeht“, problematisiert er, ohne dabei, wie UmweltschützerInnen immer wieder vorgeworfen wird, einäugig zu sein und die Dialektik des Kapitals zu negieren. Was, schließt Janssen, wird aus den Rationalisierungsbestrebungen im Konzern, wenn Bremer Umweltschützer gegen Siemens klagen, Bauvorhaben möglicherweise verzögert, Gerichtsprozesse geführt werden müssen?

Drängende Fragen, mit denen Janssen im März bei der Hauptversammlung der AktionärInnen für großen Aufruhr sorgte (vgl. taz 25.7.94): „Herr von Pierer“, wandte er sich an das zuständige Vorstandsmitglied, „stimmen Sie für den Konzern dem Anspruch auf flächenschonende Anlagenpolitik unter Umweltaspekten zu – auch am Beispiel der Standortumsiedlung Bremen?“ Der Jahresbericht gab darüber keine Auskunft, lobhudelte die ökologische Produktion, um die ökologische Standortbestimmung zu unterschlagen. Vielleicht gibt es sie ja gar nicht, mutmaßt Janssen denn der Konzern plant eine gigantische Mikrochip-Anlage in einem Dresdener Naturschutzgebiet.

Herr von Pierer, sichtlich pikiert, konterte die Anfrage mit der Verlesung eines alten Briefes an Janssen, in dem das Unternehmen Siemens dem Unternehmen Siemens bescheinigt, „europaweit führend im Umweltschutz“ zu sein. Gerold Janssen hakte nach, vergeblich. Er brachte seine nichtbeantworteten Fragen zu Protokoll, wo sie denn auch hängenblieben. Während Janssen beschloß, den Vorstand auf Auskunft zu verklagen, nutzte dieser zu vorgerückter Stunde die Abwesenheit des unliebsamen Quenglers und fragte in die Runde der Verbliebenen, ob alle mit den Antworten des Vorstandes zufrieden seien. Niemand reagierte, die Sitzung wurde geschlossen.

An die Protokolle der Hauptversammlung kommt der Umweltschützer nicht mehr ran. Die Münchner Kammer für Handelssachen erklärte „das Begehren für unzulässig“. Auch im zweiten Punkt wurde dem Antrag nicht stattgegeben. Hierin hatte Gerold Janssen das Gericht aufgefordert, Herrn von Pierer die Beantwortung oben erwähnter Frage aufzuerlegen. „Stell dir vor“, freute sich Gerold Janssen noch im Juli, „Siemens sagt: Ja, unsere Aussage für die Umweltpolitik gilt auch für den Anlagenbau – dann kann Siemens nicht in Uni-Ost bauen, wenn sie sich nicht widersprechen wollen. Aber wenn sie –Nein'sagen, dann zeigen sie, daß Umweltschutz für Siemens nur auf dem Papier existiert. In jedem Fall sitzt Siemens dick in der Tinte.“

Das allerdings sieht dasLandgericht anders: „Die Frage stellt einen Gegenstand der zukünftigen Geschäftspolitik dar, die jedoch nicht Gegenstand der Tagesordnung vom 10.3.94 dargestellt hat.“ Ja, was denn sonst, fragt sich Aktionär Janssen . Was stand auf der Tagesordnung, wenn nicht die zukünftige Geschäftspolitik?

Der Bremer Umweltschützer jedenfalls hat einen anderen Begriff von Zukunft, als sie von Gericht und Konzern definiert wird. Und darum steht für ihn fest: „Ich werde weitermachen.“ Das heißt, daß er Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil erhebt. Zu bedenken ist, daß er die anfallenden Kosten kaum durch Spendensammeln vorm Rathaus wird begleichen können. „Für mich als Rentner ist das gewaltig, aber ich hoffe, daß der Ökofonds der Grünen einspringt und darüberhinaus BürgerInnen, denen was am Naturschutz und an der Zukunft liegt.“ dah