Joint-venture gegen kubanische "Balseros"

■ Im Flüchtlingsabkommen zwischen Washington und Havanna ist eine Aufhebung der US-Wirtschaftssanktionen gegen Kuba bewußt ausgeklammert worden. Doch könnte die Clinton-Regierung genau das dem ...

Im Flüchtlingsabkommen zwischen Washington und Havanna ist eine Aufhebung der US-Wirtschaftssanktionen gegen Kuba bewußt ausgeklammert worden. Doch könnte die Clinton-Regierung genau das dem kubanischen Staatschef Castro versprochen haben – für die Zeit nach den Wahlen zum US-Kongreß im November.

Joint-venture gegen kubanische „Balseros“

Knapp 24 Stunden bleiben ihnen offiziell noch. Dann müssen die Boote fertig sein – wobei das, was da an Kubas Stränden zusammengenagelt oder geknotet wird, selten den Namen „Boot“ verdient. Es sind surreale Gebilde aus Lkw-Schläuchen, Styroporplatten, Holzbrettern und Ölfässern. Bis Dienstagmorgen, so hatte die kubanische Regierung am Wochenende verkündet, können Flüchtlinge noch unbehelligt in See stechen. Ab dann sollen die Strände für Boat people gesperrt werden. Seit Sonntagmorgen ist es bereits verboten, Materialien zum Bau weiterer Flöße an den Strand zu bringen. Seitdem sind die Preise für Holz oder Styropor ins Astronomische gestiegen, und hämmern Fluchthelfer und zukünftige Flüchtlinge wie besessen, um ihre schwimmenden Untersätze vor Ablauf der Frist seetüchtig zu machen.

Diese und ähnliche Bilder flimmern derzeit über die Fernsehbildschirme in den USA – allerdings ohne größere Sympathie mit jenen hervorzurufen, die da in halsbrecherischer Manier aus Castros Kuba fliehen. In den USA hat man mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, womit niemand so schnell gerechnet hatte: Am Freitag einigten sich Vertreter der US- amerikanischen und der kubanischen Regierung in New York auf eine strikt begrenzte Kooperation. Gegen die Zusicherung Havannas, weitere Boat people an der Flucht zu hindern, wollen die USA jährlich 20.000 Einwanderungsvisa an Kubaner ausstellen. Außerdem will Washington all jenen Kubanern die Einreise in die USA erlauben, die derzeit auf einer Visum- Warteliste stehen.

Der Deal war nach Darstellung der US-Seite zustande gekommen, nachdem die kubanische Delegation zwei zentrale Forderungen zurückgezogen hatte: die Aufhebung schärferer Wirtschaftssanktionen, die US-Präsident Bill Clinton am 20. August verkündet hatte sowie die Restriktionen gegen Castro- feindliche Radiosendungen, die von Florida aus gesendet werden. Kubas Delegationsleiter Ricardo Alarcón hatte die Forderungen seinen US-amerikanischen Verhandlungspartnern am letzten Dienstag präsentiert, war jedoch auf eisige Ablehnung gestoßen. Die Clinton-Regierung bestand darauf, mit Kuba nur über Fragen der Einwanderung zu diskutieren. Daraufhin brach Alarcón die Gespräche am Mittwoch ab, um zu Konsultationen nach Kuba zurückzureisen.

Zwei Tage später gab Havanna der Drohung der USA, die Verhandlungen ganz abzubrechen, nach und akzeptierte den Visumdeal. Folglich finden die US-Wirtschaftssanktionen gegen Kuba im Wortlaut der Vereinbarung keinerlei Erwähnung, es sei denn, man interpretiert die Zusicherung der USA, „effektive Maßnahmen“ gegen Flugzeug- oder Schiffsentführungen durch kubanische Asylsuchende zu ergreifen, als Bereitschaft, etwas gegen die Fluchtursache zu unternehmen: die ökonomisch desolate Situation auf der Karibikinsel.

Unter dem Aspekt der Immigrationspolitik hat das Abkommen historischen Charakter: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte haben sich die USA verpflichtet, eine feste Anzahl von Angehörigen einer anderen Nation immigrieren zu lassen – selbst wenn diese nicht die vom US-Kongreß festgesetzten Kriterien für ein Einwanderungsvisum wie Familiennachzug oder berufliche Qualifikation erfüllen.

Mit der neuen Regelung hat Fidel Castro zumindest ein Ziel erreicht: die Entpolitisierung der Flüchtlinge aus seinem Land und das Ende einer ambivalenten Asylpolitik der USA. Die hießen bislang zwar jene Boat people als antikommunistische Exilanten willkommen, die die Überfahrt nach Florida überlebten. Doch wer in Kuba ganz legal ein Einreisevisum beantragte, wurde von US-Seite immer häufiger abgelehnt. Durchschnittlich erhielten rund 2.700 Kubaner jährlich die Einreiseerlaubnis in die USA.

Doch die einwanderungspolitische Seite des jüngsten Abkommens erregt derzeit in den USA kaum Aufmerksamkeit. Vielmehr gibt die Bereitschaft Fidel Castros, auf die für ihn zentrale Forderung nach Lockerung der Sanktionen zu verzichten, Anlaß zu Spekulationen, daß Washington dem kubanischen lider eben das unter dem Tisch versprochen haben könnte. Die New York Times zitierte am Wochenende diplomatische Quellen, in denen gemutmaßt wurde, daß Verhandlungen über das seit 32 Jahren herrschende US-Embargo gegen Kuba nach den amerikanischen Kongreßwahlen im November anstehen könnten. Bis dahin, so die These, müsse Bill Clinton sein Image als Anti-Castro- Hardliner unter allen Umständen wahren – vor allem, um die Wiederwahl seines Parteifreundes Lawton Chiles zum Gouverneur von Florida nicht zu gefährden.

Auf Bitten Chiles' hatte Clinton im August das Ende der bisherigen Asylpolitik gegen Kubaner verkündet und angeordnet, sie wie ihre haitianischen Schicksalsgenossen auf See abzufangen und auf Guantanamo Bay zu internieren. Auf Druck der radikalen Anti-Castro-Lobby in Miami und im US- Kongreß ließ Clinton dann am 20. August den Transfer von US-Dollar nach Kuba unterbinden. Ob es nach den Novemberwahlen tatsächlich zu neuen Verhandlungen zwischen Washington und Havanna kommen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob moderatere Fraktionen der kubanischen Exilgemeinde das Ohr des US-Präsidenten finden. Eine Gruppe steht seit letztem Freitag sicher auf der Verliererseite: jene 26.000 kubanischen Flüchtlinge, die in den letzten Wochen von der US-Küstenwache abgefangen und auf dem Navy-Stützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba interniert worden sind. Sie müssen entweder in ihrer Heimat einen Antrag auf eines der 20.000 Visa stellen – oder sich auf einen unbegrenzten Aufenthalt hinter Stacheldraht einrichten. Andrea Böhm, Washington