HVV: Tod oder Wachstum

■ Hamburg als Bremsklotz bei der Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs in der Region / EG-Recht bietet einmalige Chancen

Für Peer Steinbrück, Verkehrsminister des Landes Schleswig-Holstein, ist die Lage ernst, politisches Handeln überfällig: „Die Neuorganisation des Verkehrs in der Metropolregion Hamburg ist die Nagelprobe. Gelingt es uns nicht, im nächsten halben Jahr zu einer Lösung zu kommen, dann können wir uns das regionale Entwicklungskonzept abschminken.“

Zwei Verkehrsminister, Steinbrück und Hamburgs Eugen Wagner, zig Kommunal-, Landes- und Kreisparlamentarier sowie ein Gutteil der norddeutschen Verkehrsszene hatten sich gestern zweihundertköpfig in Pinneberg zu einem Workshop zur Zukunft des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) in der Region Hamburg versammelt. Auf der umfangreichen Tagesordnung: Stirbt der HVV oder entsteht ein neuer Groß-HVV? Wer bezahlt und bestellt in Zukunft öffentlichen Nahverkehr? Wie sieht die norddeutsche ÖPNV-Zukunft aus?

Anlaß des überfälligen Meetings, dessen Zustandekommen Hamburg bis zuletzt zu verhindern suchte, ist die unvermeidliche Nahverkehrsrevolution am 1. Januar 1996. Am 31. Dezember 1995 laufen in Deutschland die Übergangsfristen einer seit 1991 europaweit rechtsgültigen EG-Verordnung aus. Danach unterliegen Organisation, Betrieb und Bezahlung öffentlichen Nahverkehrs grundlegend neuen Regeln. Der Bund ist die Verantwortung für den Schienennahverkehr an die Bundesländer los, Kreise und Kommunen bestimmen allein über den ÖPNV. Öffentliche Verkehrsleistung muß europaweit ausgeschrieben werden, Wettbewerb ist Pflicht.

Wie das alles geschehen soll und wird, ist in Norddeutschland – im Gegensatz zu anderen deutschen Regionen –, noch immer völlig ungeklärt. Schuld daran, so machte Eugen Wagner gestern wieder einmal unmißverständlich deutlich, ist Hamburg. Wagner sieht vor allem „Risiken“ und eine einzige zentrale Frage: „Wie sollen wir in Zukunft ÖPNV bezahlen?“ Während die Mehrzahl der Workshop-Diskutanten auf die einmalige Chance eines großen Wurfs verwies, von der Möglichkeit der überfälligen HVV-Erweiterung (Cuxhaven-Neumünster-Lübeck-Soltau) schwärmte und die Grundlage für eine Jahrhundertentwicklung des norddeutschen ÖPNV gelegt sehen wollte, winkte Wagner nur müde ab: “Der HVV hat eine Spitzenstellung in der Welt. Wenn wir es schaffen, diese Leistung zu halten und Defizite zu senken, dann sind wir Weltmeister.“

Daß das gelingt, mochte Wagner denn aber doch nicht versprechen: „Die Rücknahme von ÖPNV-Leistung, zum Beispiel im Abendverkehr oder im Angebot der vielen Sitzplätze, darf kein Tabu sein.“ Kurz: Leistungseinschränkung, keine Modernisierung, keine Erweiterung des HVV. Für eins aber, so Wagner, sei die durch die EG erzwungene Gesetzgebung gut: Hamburg will, daß Schleswig-Holstein ab 1.1.1996 50 statt bislang vier Millionen Mark als Defizitbeitrag an den HVV abführt. Ein Insider zu taz: „Wagner interessiert allein der Finanzpoker. Dafür setzt er die ganze ÖPNV-Zukunft aufs Spiel.“ Florian Marten