Ein flammendes Signal

■ Frank B. legte Feuer in seiner alten Schule, um nach dem Grund gefragt zu werden

„Ich habe gedacht, daß irgendjemand das Feuer sieht und mich fragt, warum ich das gemacht habe.“ Mit leiser, tränenerstickter Stimme und einem glasigen Blick ins Nirgendwo erzählt Franz B. von seiner Tat, von der „nur wünscht, daß sie nie passiert wäre.“ Um auf sich aufmerksam zu machen, setzte der dreißigjährige B. im Dezember letzten Jahres ein flammendes Signal: Er legte Feuer in der „Gesamtschule Ost“ (GSO), seiner alten Schule. Das Resultat: Ein völlig zerstörtes Klassenzimmer, etwa 300.000 Mark Schaden und ein Strafverfahren wegen Brandstiftung.

Allerdings ist die Tat von B. kein Fall von „Hurra, Hurra, die Schule brennt!“. Der Mann ist keineswegs ein gequälter Schüler, der sich zehn Jahre nach Schulentlassung an der alten Penne rächen muß. Und er ist auch kein Pyromane, den das flackernde Feuer erregt. Der Mann hat große Probleme, wird im Laufe des Verfahrens deutlich, noch bevor der psychiatrsiche Gutachter ihm eine „Persönlichkeitsfehlentwicklung mit erheblichem Krankheitswert“ und eine „schwere seelische Abartigkeit“ bescheinigt. Die Verhandlung vor dem Schöffengericht, vollbesetzten Pressebänken und einer gutbesuchten Zuschauertribüne im Amtsgericht hat denn auch mehr den Charakter eines offenen Therapiegesprächs zwischen Psychiater, Staatsanwalt, Richter und Angeklagten als den einer Verhandlung in einer Strafsache.

Frank B. ist laut Gutachten eine „unreife Persönlichkeit“. Von den Eltern nicht geliebt, macht er schon in der Jugend durch Diebstähle auf sich aufmerksam und kriegt daraufhin wiederum Liebesentzug zu spüren. Vor Prüfungen oder schwierigen Situationen im Privatleben ist er stets „abgehauen“, wie er sagt. So auch im letzten Dezember: Nach einem Streit mit seiner Freundin, bei der er in Berlin wohnt, schnappte er sich deren Auto und Geld, fuhr ins spanische Malaga und landete schließlich in der alten Heimat Bremen. Hier lief er zwei Tage durch die Straßen, fühlte sich „furchtbar allein“ und kaufte schließlich eine Flasche Nitroverdünner. Mit der schlich er sich in der Nacht in die Gesamtschule Ost, warf dort ein Fenster ein, spritzte das Nitro über Tische, Stühle und Boden und wollte es anzünden. Doch deutsche Klassenzimmer brennen nicht so ohne weiteres. Zweimal mußte Frank B. in den Klassenraum zurücksteigen, um Bänke und Schulhefte nachzulegen und die Fenster einzuwerfen, ehe die Flammen richtig loderten und den Klassenraum zerstörten. Das kopflose Verhalten paßt zu seiner Biografie, meinen der Gutachter und auch der Angeklagte selbst: „Ich war völlig verzweifelt und wußte nicht mehr weiter.“ über sein Schicksal sollten andere entscheiden - „auch wenn es die Justiz sein würde.“

Auch mit dem Entdecktwerden war es für Frank B. gar nicht so einfach. Nach dem ersten Brandsatz sei er vor die Schule an eine Notrufsäule gegangen, berichtet er vor Gericht, und habe die Feuerwehr alarmiert. Die kam erstmal nicht, dafür umkreiste zweimal ein Polizeiwagen die Schule und verschwand wieder. Also dachte B., das Feuer müsse wohl noch zu klein sein und heizte ein. Dann rief er erneut die Feuerwehr und mischte sich unter die Schaulustigen bei den Löscharbeiten. „Ich habe gedacht, daß man mich da anspricht.“ Doch die Feuerwehrleute hatten offensichtlich andere Sorgen. So suchte der Täter unerkannt das Weite. Am nächsten Abend dann stellte er sich der Polizei.

Was tun mit Frank B.? Im Gerichtssaal herrscht Ratlosigkeit. Der Gutachter wagt nicht, eine positive Prognose abzugeben, weil der Täter bereits einmal eine therapeutische Behandlung erfolglos abgeschlossen hat. Er sehe seine Probleme zwar ein, aber das allein helfe ihm noch nicht, sie zu lösen. „Er hat keinen Beruf, der ihm Selbstwertgefühl gibt, und er hat seine aggressive Energie bereits einmal in einem Selbstmordversuch gegen sich selbst gerichtet“, meint der Psychiater. Und zum Angeklagten gewandt: „Auf alle Fälle sollten sie etwas in Richtung Therapie unternehmen, damit wir uns hier nicht wiedersehen.“ Für den Gutachter bleibt die Hoffnung, daß die Erinnerung an die Tortur des öffentlichen Prozesses Frank B. künftig zurückhält.

Beim Plädoyer überrascht der in der Prozeßführung nicht sehr feinfühlige Oberstaatsanwalt Stegelmann (“300.000 Mark Schaden - an Ihrer Stelle hätte ich einen Wohnwagen angezündet!“) mit einem milden Plädoyer, dem das Gericht fast vollständig folgt. Es verurteilt Frank B. zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung mit der Auflage, sich neben dem Bewährungshelfer und einer gemeinnützigen Arbeit einen Therapieplatz in Berlin zu besorgen. „Mit den Auflagen wollen wir das Schlimmste verhüten, nämlich die Wiederholung einer solchen Tat“, meint Richter Hoffmann. „Ob der Täter geheilt wird oder ein glücklicher Mensch sein wird, das ist eine ganz andere Frage.“ Bernhard Pötter