Der Ernstfall heißt Frieden

Vor einem Jahr reichten sich PLO-Chef Jassir Arafat und Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin die Hände. Im Gaza-Streifen und in der Westbank ist die Euphorie verschwunden  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Zwölf Monate nachdem er Israels Regierungschef Jitzhak Rabin die Hand gereicht hat und vier Monate nach der Unterzeichnung des Autonomievertrags in Kairo scheint es Jassir Arafat bereits leid zu tun, daß er sich auf das „Gaza- Jericho-Abkommen“ eingelassen hat. In Privatgesprächen, deren Inhalte an die Öffentlichkeit lanciert werden, macht der PLO-Vorsitzende und Chef der palästinensischen Autonomieverwaltung in Jericho und im Gaza-Streifen seinem Frust über den Status quo Luft. Bei öffentlichen Auftritten warnt er dagegen vor der Gefahr eines Zusammenbruchs des Autonomie- Projekts.

Der Aufbau einer funktionierenden Selbstverwaltung ist praktisch unmöglich, da die in Gaza residierende Verwaltungsbehörde so gut wie kein Geld zur Verfügung hat. Die den Palästinensern vor einem Jahr von den sogenannten Geberstaaten versprochenen 700 Millionen US-Dollar sind nur zu einem Bruchteil ausbezahlt worden. Wirtschaftliche Probleme und die enorme Arbeitslosigkeit bleiben ungelöst.

Die Leute um Arafat stehen vor Aufgaben, die unter den gegenwärtigen Bedingungen unlösbar sind. Neben Geldmangel sind sie durch ein kompliziertes Netz von Reglementierungen und Verboten eingeschränkt. Zahlreiche Klauseln der Abkommen halten die Palästinenser in fast totaler Abhängigkeit von den Interessen israelischer Behörden. Hinzu kommen, vor allem seit den israelisch-jordanischen Vereinbarungen, die Unklarheiten und Konflikte im israelisch-jordanisch-palästinensischen „Dreieck“.

Bei den politischen Auseinandersetzungen unter den Palästinensern steht die Einstellung zur Autonomie im Vordergrund. Dabei bildet sich das Verhältnis der von Arafat geführten Selbstverwaltungsbehörde und seiner PLO- Fraktion Fatah zu den anderen politischen Gruppen erst heraus. Die Tendenz dabei ist, die linke Oppositionsfront zu isolieren und den Hauptstrom der einflußreichen und eher kompromißbereiten islamistischen Hamas-Bewegung in einen möglichst breiten „nationalen Konsens“ miteinzubeziehen.

Diese Fragen haben an Wichtigkeit gewonnen, angesichts des neuen Beschlusses der Selbstverwaltungsführung, Anfang November allgemeine Wahlen zu einer palästinensischen Volksvertretung abhalten zu lassen. Die israelische Regierung steht diesem Plan kritisch bis ablehnend gegenüber. Sie verlangt, daß Wahlen und die damit im Rahmen der Abkommen festgelegten Arrangements, wie israelische Truppenverschiebungen in der besetzten Westbank und die Anwesenheit internationaler Beobachter, erst in israelisch-palästinensischen Verhandlungen erörtert werden. Die Beschlüsse darüber sollen irgendwann in ferner Zukunft getroffen werden.

Die israelische Regierung will in den teilautonomen Gebieten auf keinen Fall ein palästinensisches Gremium dulden, daß die Funktion einer gesetzgebenden Versammlung hat. Ursprünglich wollte man in Jerusalem nur die Wahl eines kleinen Nationalrats mit maximal 30 Mitgliedern zulassen. Die palästinensischen Behörden wollen jedoch ein 100 Mitglieder zählendes Gremium installieren.

Eine der umstrittensten Fragen betrifft weiterhin der zukünftige Status Jerusalems. An dem Disput um die Juden, Muslimen und Christen heilige Stadt scheiterte auch die Konferenz der „Geldgeberstaaten“, die in der vergangenen Woche in Paris stattfinden sollte. Die Palästinenser hatten im Rahmen ihrer Vorschläge auch Investitionsprojekte zur Entwicklung des Ostteils der Stadt genannt. Dabei handelte es sich um dringende Reparaturarbeiten in Krankenhäusern und Schulen. Diese erschienen den israelischen Vertretern jedoch so unannehmbar, daß die Konferenz kurzerhand abgesagt werden mußte.