■ Joschka Fischer möchte nach dem Wahldesaster der Grünen keinen Krach in der Partei / Unsere Korrespondenten berichten aus den Zentren des grünen Schmerzes
: "Die taz wird im Osten auch nicht gelesen"

Joschka Fischer möchte nach dem Wahldesaster der Grünen keinen Krach in der Partei / Unsere Korrespondenten berichten aus den Zentren des grünen Schmerzes

„Die taz wird im Osten auch nicht gelesen“

taz: Herr Fischer, denken die Politstrategen der Grünen angesichts der Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen nun darüber nach, den ostdeutschen Parteifreunden Posten in der kommenden Bundestagsfraktion zu streichen?

Joschka Fischer: Ich habe im Moment wahrhaft andere Sorgen, als über die Verteilung der Posten nach der Bundestagswahl nachzudenken. Das ist ein deprimierendes Ergebnis. Wir werden uns sehr anstrengen müssen. Wir brauchen eine eindrucksvolle Zweitstimmenkampagne, um möglichst stark wieder in den Bundestag zu kommen. Das allein interessiert mich.

In Sachsen wuchsen schon Blütenträume von einer schwarz-grünen Koalition.

Also Blütenträume waren das nie, und meine schon gar nicht. Ich habe dort mehrmals Wahlkampf gemacht. Die Koalitionsdebatte in Sachsen ist nicht schuld an unserem Scheitern dort. Drei Punkte sind wichtig. Der erste ist: Die Wählermilieus, die uns im Westen groß machen, sind vier Jahre nach der Wende in der ehemaligen DDR nicht sehr stark entwickelt. Wir schwanken dort um die fünf Prozent Stammwählerschaft. Das heißt im Klartext, daß wir natürlich auch immer wieder unter die fünf Prozent gedrückt werden können. Der zweite Grund: Die PDS zieht die Proteststimmen auf sich. Es ist bitter, wenn man sieht, daß die ehemalige SED als Erbin der Wende fungiert. Dann kommt als drittes der regionale Faktor hinzu. Das monarchische Wahlprinzip mit Biedenkopf und Stolpe spielte eine wichtige Rolle.

Warum konnte die PDS denn das Protestpotential, das sich auch gegen den Westen richtet, allein binden? Die Bündnis-90-Leute sind doch gerade keine Wessis.

Das ist wie mit der taz, die wird im Osten auch nicht gelesen. Im Ernst: Die PDS hat den Apparat, die Gelder und die schönen Erinnerungen an die alte DDR.

Es gibt aber auch keine Ost-taz. Wie geht es denn weiter?

Nach der Bundestagswahl werden wir uns zusammensetzen müssen und sehr sorgfältig die Bedingungen für einen Neuaufbau von Bündnis 90/Grünen in den neuen Bundesländern diskutieren müssen. Das wird nicht schnell gehen. Wir brauchen den Kopf nicht zu sehr hängenzulassen. Es wird einen Wiedergutmachungseffekt geben bei der Bundestagswahl in den neuen Ländern.

Sie haben nur strukturelle Defizite benannt als Ursache des Scheiterns, über politische Fehler der Bündnis-90-Leute aber kein Wort verloren. Es steht der Vorwurf im Raum, Ihre Ost-Parteifreunde hätten sich in moralisierender Weise auf die Vergangenheit konzentriert und die Probleme vernachlässigt, die den Leuten unter den Nägeln brennen.

Ich muß mit Nachdruck alle Beteiligten darauf hinweisen, daß dies nicht die Stunde von Schuldzuweisungen ist. Wir können jetzt keinen Krach anfangen. Die Bündnisgrünen haben uns Westgrünen in schwierigster Zeit, nämlich am 2.Dezember 1990, geholfen, unseren Kopf über Wasser zu halten. Ich verspreche allen Beteiligten: Sollte irgend jemand glauben, vier Wochen vor der Bundestagswahl einen Krach in der Partei lostreten zu müssen, dann wird die Partei diesen Krach sofort beenden.

Ludger Volmer, von dem der Vorwurf der moralisierenden Vergangenheitsbewältigung stammt, ist immerhin Sprecher des Bundesvorstands.

Ich mahne niemand Bestimmtes. Ich wiederhole nur: Das ist nicht der Augenblick von Schuldzuweisungen.

Das klingt sehr etabliert und staatsmännisch. Die Grünen zeichneten sich einmal dadurch aus, daß sie ihre Fehler öffentlich diskutierten.

Ich habe auch nicht den Ehrgeiz, in der taz anders zu klingen als sonst. Die Bewertung überlasse ich Ihnen.

Ihre Analyse der Ost-Ergebnisse bezog sich, wie gesagt, nur auf Strukturdefizite. Die sind doch in den vier Wochen bis zur Bundestagswahl nicht zu beheben. Haben Sie denn keinen anderen Vorschlag an ihre Partei?

Ich schlage der Partei vor, mit verdreifachter Anstrengung Wahlkampf zu machen und nichts als Wahlkampf.

Interview: Hans Monath