: „Ich weiß, ich bin keine Lilie“
■ Heute im OK: Ein Film über Olga Irèn Fröhlich, Diseuse, Jüdin
Seit 24 Jahren geht sie spazieren. Aber sie kann es noch: die eine Schulter vor, den Kopf in den Nacken, ein leicht blasiertes, eine Spur zu lautes Lachen. „Es war eine Wwwwonne, wwwwunderschön.“ Ganz die grande dame eben, aber immer mit einem Stich ins Leichtsinnige. Olga Irèn Fröhlich ist neunzig, wohnt geradezu unerkannt mitten in Bremen und war doch viele Jahre lang eine ganz dolle Nummer. Sie tingelte schon vor dem Krieg durch Deutschland mit Schlagern wie „Sie können mich am Popokatepetel mal beehren“ oder „Ich weiß ich bin keine Heilige, ich bin keine Lilie“. In Bremen wurde sie als Chansonnière bekannt durch zahllose Auftritte im Astoria, im Radio und im Fernsehen. Eine Schülergruppe des Schulzentrums Neustadt hat zusammen mit ihrem Lehrer, Wolfgang Kuhlmann, die alte Dame wiederentdeckt und einen Film über sie gemacht, der heute im Offenen Kanal läuft. Doch die vier Schülerinnen hatten zunächst nicht die Diseuse kennengelernt, sondern die Jüdin.
Im Herbst 1993 fuhr ein Leistungskurs Deutsch des SZ Neustadt nach Prag und auch nach Theresienstadt. Zufällig machte Lehrer Kuhlmann einige Tage später die Bekanntschaft mit seiner Nachbarin Frau Fröhlich, einer Jüdin, die viele ihrer Angehörigen in Theresienstadt verloren hatte. Als Kuhlmann biografische Einzelheiten in der Schule erzählte, begann sich auch sein Kurs für Frau Fröhlich zu interessieren und lud ein. Damals entstand die Idee, einen Film über sie zu drehen.
Herausgekommen ist ein 70 Minuten langer Streifen, der vom Zuschauer viel Konzentration erfordert - doch die enorme Ausstrahlung der alten Dame hält die notwendige Spannung bis zum Schluß aufrecht. Eigentlich - bis auf einige Einblendungen - ruht die Kamera die ganze Zeit auf dem Gesicht der Frau, und die erzählt. Von ihrer Kindheit in Hamburg, wo sie die israelitische Töchterschule besuchte; von der Heirat in Breslau und ihren ersten Theaterauftritten; vom Tingeln auf deutschen Kleinkunstbühnen; davon, wie die Karriere ihr immer hinterherlief; von den zunehmenden Anfeindungen bei den Auftritten in den 30ern, als sie immer wieder in den Spiegel sah und sich fragte, woher die wußten, daß sie Jüdin war; vom Schweizer Exil und der späten Rückkehr nach Deutschland, nach Bremen. Die Chronologie gerät ihr bisweilen etwas durcheinander, aber ihre Erlebnisse erzählt sie mit großem Charme und Witz. Nur ist sie immer wieder irritiert, daß ihren Interviewerinnen das Kabarett „Vaterland“ in Hamburg ebensowenig ein Begriff ist wie der „wwwwunderbare“ Pianist Franz Ort.
Natürlich wollen die Schülerinnen von Frau Fröhlich, die so ansteckend lachen kann und so lange ein unbefangenes Leben hatte, wissen, wann sie denn „aufgewacht“ sei. „Richtig aufgewacht bin ich nie,“ sagt sie da, „ich begreife bis heute nicht, was da in sie gefahren ist.“ Heute noch liest sie viel, ist an Nachrichten interessiert und schaut sich alle jüdischen Filme an. Denn „vergessen will ich nicht. Ich schicke den Vergasten meine Grüße. Und manchmal geniere ich mich, daß ich lache.“
Burkhard Straßmann
Der Film über Olga Irèn Fröhlich läuft heute im Programm des Offenen Kanals um 19.45 Uhr
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