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Saufen und grabschen für die nationale Sicherheit Von Andrea Böhm

Der Zeitpunkt scheint etwas verfehlt: Der Kalte Krieg ist unbestritten vorüber und das vormalige „Reich des Bösen“ vorwiegend mit seinem Restbestand beschäftigt, doch in Hollywood hat man eine neue Vorliebe für den CIA-Agenten als Filmhelden entdeckt. Harrison Ford mimt nun in „Clear and Present Danger“ (deutsch „Das Kartell“) zum zweiten Mal Jack Ryan, die amerikanische Antwort auf James Bond, und versucht mit Hundeblick und patriotischer Aufrichtigkeit gegen das Böse vorzugehen – ob es nun im kolumbianischen Drogendschungel lauert oder im Dickicht von Korruption und Verschwörung in Washington.

Die CIA jedenfalls kann sich damit trösten, nach der Enttarnung ihres Doppelagenten Aldrich Ames wenigstens eine fiktive Identifikationsfigur vorweisen zu können. Doch kaum war der Film in den Kinos angelaufen, da schwappte der nächste Skandal heran. Über hundert CIA-Mitarbeiterinnen haben die Spionagebehörde wegen sexueller Diskriminierung verklagt. Nach Lektüre der Anklageschrift einer „Jane Doe Thompson“ (die Namen der Klägerinnen bleiben vorerst anonym) wähnt man sich nicht im Spionagezentrum einer Supermacht, sondern auf einer permanenten Sauf-und-Grabsch-Party. Agentin „Thompson“ schildert Vorgesetzte, die bei Treffen mit ausländischen Geheimdienstlern so betrunken waren, daß sie sich anschließend nicht mehr an den Verbleib von geheimen Dokumenten erinnern konnten. Andere soffen sich bei Auslandseinsätzen in Bars einen Vollrausch an, um sich dann den versammelten Gästen als CIA-Agenten vorzustellen. Gegen einen weiteren Kollegen lagen über zwanzig Berichte wegen Alkoholismus und Gewalt gegen seine Ehefrau vor. Aldrich Ames, dessen Alkoholprobleme seit Jahren ebenso bekannt waren wie seine verdächtig umfangreichen Finanztransaktionen, verbrachte nach Angaben von Agentin „Thompson“ die Nacht mit einer Freundin in einem geheimen CIA-Unterschlupf, der danach so geheim nicht mehr war. Alle Genannten wurden im Laufe der Jahre immer wieder befördert.

Der erhöhte Alkoholspiegel im Blut mag erklären, warum der CIA in den letzten Jahrzehnten so einige bedeutende Weltentwicklungen entgangen sind – auch wenn das „Dirty Tricks Department“, die „Abteilung für schmutzige Tricks“, oft nüchtern genug war, um hier und da einen Putsch zu inszenieren, eine Militärdiktatur zu stützen oder selbsterklärte „Freiheitskämpfer“ heimlich mit Waffen zu versorgen.

Derzeit jedenfalls herrscht Grabesstimmung in der Zentrale in Langley im Bundesstaat Virginia: Nach der Enttarnung von Aldrich Ames wurde bis auf weiteres ein Beförderungsstopp verhängt. Außerdem muß die Behörde mit dem euphemistischen Namen „Central Intelligence Agency“ in den neunziger Jahren ihren Personalbestand um 23 Prozent reduzieren. Das „CIA Career Transition Center“, die interne Abteilung für Umschulung zwecks Eintritt in das richtige Leben, hat seitdem alle Hände voll zu tun, ihren AgentInnen das Verfassen von Bewerbungen für zivile Arbeitgeber beizubringen. Nicht nur aus Sicherheitsgründen bleiben da ein paar Lücken im Lebenslauf. An manches können sich die Damen und Herren wirklich nicht mehr erinnern.

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