Standbild: Erbauungspoesie
■ "Wo Federn in Blut tauchen"
„Wo Federn in Blut tauchen“, Montag, 23.15 Uhr, BR 3
Der Erste Weltkrieg als Wille, Vorstellung – und Praxis. Dichter im hurrapatriotischen Gesinnungstaumel. Mit einer szenischen Lesung blendeten die Autoren Günther und Martin Weinhart zurück ins Jahr 1914. Gemütlich sinniert Thomas Mann in seinem Tölzer Landhaus, zeigt sich in den Briefen an Bruder Heinrich gleichermaßen besorgt um die nun an Wert verlierende Immobilie wie die gemeinsamen Tugenden von Kunst und Krieg: Begeisterung und Ordnung, Vorwärtsdrängen, tapfer und standhaft sein, „Verachtung dessen, was im bürgerlichen Leben Sicherheit heißt“.
Nur knapp fügt der Film zeitgeschichtliche Fragmente dazwischen. Kaiser Wilhelm krächzt die Schicksalsfrage über das „Sein oder Nichtsein deutscher Macht, deutschen Wesens“. Wochenschauen zeigen die marschierende Armee, das Feld und den Tod. Die Dokumentation setzt ganz auf den kühnen, herausdestillierten Klang der Unvernunft, enthält sich fast gänzlich der eigenen Stellungnahme. Nur Zwischentitel strukturieren den Sog der Ereignisse.
Als Pendant zu Manns großbürgerlicher Zuschauerpose gab es bitteren, tödlichen Front-Expressionismus des Hauptmanns August Stramm – „Blut, Fleisch, Dreck ... ist genug.“ Schließlich lodert zu Hitlers „Mein Kampf“ bereits der nächste Weltenbrand durchs dunkle Fenster – und Zeit und Raum sind so fern.
Der Film versucht mit verhalten impressionistischer Geste den expressionistischen Horror zu bannen. Das gelingt jedoch nur ansatzweise, weil die Worte der Verklärung zur Erklärung nicht genügen. Die Massenpsychologie nationaler Minderwertigkeitskomplexe – ist das bloß Alfred Kerrs „Deutschland kämpft um sein Leben“ in dessen unfreiwilliger Doppeldeutigkeit? Wenn zum Kriegsbeginn wirklich pro Tag 50.000 Briefe mit nationalistischer Erbauungspoesie an die Zeitungen gegangen sind – warum wurde nichts daraus zitiert?
Die Autoren machen es sich mit dieser Vorführung verblendeter Geister einfach; erklären, daß seit der Französischen Revolution und den deutschen Befreiungskriegen bei den Dichtern das „Idealbild Soldat“ existierte. Ein „zeitgemäßer Heroismus“ – wie Thomas Mann im „Tod in Venedig“ 1912 anmerkte? Vieles an dieser Dokumentation blieb ohne schlüssiges Ende – weil es zeitlos scheint. Dieter Deul
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