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Sterbehilfe erweitert

■ Bundesgerichtshof stärkt mit Urteil Patientenwillen bei Sterbehilfe

Karlsruhe (AP) – Der Bundesgerichtshof hat in einem gestern verkündeten Grundsatzurteil erstmals zugelassen, daß Ärzte im Fall unheilbar kranker Patienten die Behandlung abbrechen können, wenn das dem Willen des Patienten entspricht. Bisher war das Unterlassen ärztlicher Behandlung nur zulässig, wenn das Sterben des Patienten unmittelbar bevorstand; dies ist nach dem jüngsten Urteil nicht mehr Voraussetzung. An das Vorliegen des erklärten Einverständnisses des Patienten knüpften die Karlsruher Bundesrichter jedoch strenge Voraussetzungen.

Im konkreten Fall war eine Frau nach einem Herzstillstand unheilbar hirngeschädigt. Da sie unansprechbar im Koma lag, mußte sie künstlich ernährt werden. Nach etwa drei Jahren wollte der behandelnde Arzt im Einverständnis mit dem zum Pfleger bestellten Sohn der Patientin die künstliche Ernährung der 72jährigen einstellen. Der Anordnung des Arztes leistete das Pflegepersonal jedoch keine Folge, sondern rief das Vormundschaftsgericht an. Die künstliche Ernährung der Frau wurde daraufhin fortgesetzt, sie starb neun Monate später an Lungenödemen. Im Strafprozeß verurteilte das Landgericht Kempten Arzt und Sohn wegen versuchten Totschlags zu 4.800 und 6.400 Mark Geldstrafe. Auf die Revision der Angeklagten hob der BGH nun dieses Urteil auf und wies den Fall an das Landgericht zurück.

In der mündlichen Urteilsbegründung erklärten die Bundesrichter, es habe sich hier nicht um eine passive Sterbehilfe gehandelt, bei der die Behandlung kurz vor Sterbebeginn eingestellt wird. Der Vorsitzende Richter Günter Gribbohm sagte aber, auch dann sei „im Grenzfall ein Sterbenlassen durch Abbruch einer ärztlichen Maßnahme nicht von vornherein ausgeschlossen“. Voraussetzung sei, daß dies dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten zum Zeitpunkt des Behandlungsabbruchs entspreche.

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