„Der Staat dreht durch“

■ Buntentor: Hausdurchsuchung zur Räumung umfunktionalisiert?

Fassungslos stiegen gestern die Ex-Bewohnerinnen des Frauenprojektes am Buntentor über das, was von ihrem Haus übriggeblieben ist – ein Haufen Bauschutt. Allein der rote Stern, der vor dem Abriß noch die Front zierte, ist einigermaßen heil geblieben. Zwischen den Baggern ziehen die Frauen hier einen Schuh, dort eine Lederjacke aus den Trümmern. Ihr Eigentum wurde offensichtlich nur zum Teil durch eine Spedition gesichert. Sie selbst hatten keine Zeit mehr, ihre Habe zusammenzupacken.

Gegen neun Uhr, beschrieben sie den Hergang der Räumung auf der Pressekonferenz, wurden die sechs anwesenden Frauen vom Polizeilautsprecher aus dem Schlaf geholt. Sie hätten sich gerade anziehen und in der Küche sammeln können, „da waren die schon in der Küche“. Sie seien in Handschellen abgeführt und „ziemlich brutal“ behandelt worden: Man habe sie die Treppe runtergeschubst, ihnen die Arme verdreht, und die Handschellen zu fest angezogen. Niemand habe, was juristisch vorgeschrieben ist, einen Hausdurchsuchungsbefehl vorgelegt. Daß es darum ging, hätten sie erst in der Zelle durch ihre Anwältin erfahren. „Die Hausdurchsuchung hatte nur den Sinn, die Räumung zu rechtfertigen.“

Kerstin Fürst, die Anwältin der Buntentor–Frauen, sieht Gründe für diesen Verdacht: „Es liegt kein rechtskräftiges Räumungsurteil vor. Zwar wurde das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts für vorläufig vollstreckbar erklärt, jedoch ist das Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen.“ Daß die Frauen in der Berufungsverhandlung am 29.9. durchaus Chancen gehabt hätten, sei bei der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 1. September zum Ausdruck gekommen. „Die Stadtgemeinde Bremen hat jetzt kalte Füße bekommen und mit dem Abriß Fakten geschaffen.“

Das Vorgehen der Stadt, so die Juristin, „scheint formaljuristisch abgesichert, jedoch ist unüblich, vor einem rechtskräftigen Urteil zu vollstrecken,“ zumal ein weiterer Antrag auf Vollstreckungsschutz noch nicht beschieden war. Im übrigen habe gegen neun von zwölf Bewohnerinnen kein Räumungstitel vorgelegen. Diese neun hatten einen Untermietvertrag mit dem Verein für freie Kulturentfaltung, kommunikatives und selbstbestimmtes Leben e.V.

Ebensowenig vermag Kerstin Fürst nachzuvollziehen, warum ein seit drei Monaten in der ganzen Stadt aushängendes Plakat Anlaß genug für Hausdurchsuchung und Räumung abgegeben habe. Das Plakat „Wir können auch anders“ sei eher als „Selbstdarstellung der Frauen des Vereins“ als ein Aufruf zur Gewalt zu werten: „Seit 20 Jahren sind in Bremen ähnliche Plakate und Flugblätter im Umlauf, ohne daß es je eine Verurteilung gegeben hätte.“

„Wir waren vorher im zivilrechtlichen Verfahren, jetzt machen sie ein strafrechtliches daraus,“ kommentiert eine Ex-Bewohnerin auch die beschlagnahmten Krähenfüße. Die Bewohnerinnen leugnen, diese hergestellt oder in dem Haus, das immerhin von vielen Leuten frequentiert worden sei, deponiert zu haben. Nicht auszuschließen sei im übrigen, daß man die Krähenfüße erst kurz vor Abriß ins Haus gebracht habe, „um uns zu kriminalisieren.“

Herbe Kritik gab es an den Grünen, die eine Befriedungspolitik gefahren hätten. „Die haben nie klar gegen die Räumung Position bezogen, sondern nur versucht, uns ruhig zu halten. Diese Politik hat total versagt.“ Die den Frauen angebotenen Alternativen seien unzumutbar gewesen. Das Wohnhaus in Huchting war zu klein, das Asylschiff und die Flüchtlings- Containerbauten am Wardamm wurden aus politischen Gründen abgelehnt: „Wir wollen keine Räume auf Kosten von Asylsuchenden, die hier rausgeschmissen werden.“

Die Frauen wollen als Projekt weiter zusammenbleiben. Sie sehen die Ursachen für Räumung und Abriß in der staatlichen „Hysterie“ vorm 3. Oktober: „Es drängt sich das Gefühl auf, daß die alle durchdrehen.“ Darüberhinaus die derzeitige Stimmung einzuschätzen, überlassen sie anderen. Nach der spontanen Sympathiekundgebung am Dienstagabend klirrten in der Nacht beim Staatsanwalt und Innensenator die Scheiben, Autoreifen wurden zerstochen, Wände besprüht, bei einer der Abrißfirmen wurde ein Feuer gelegt.

Dora Hartmann