Todessturz mit Marschmusik

■ Europa ist noch kein Programm: das dänische Musical „Cyrano de Bergerac“ im Theater des Westens

Zugegeben: die Speerspitze der musikalischen Avantgarde sind Musicals selten. In diesem Genre kommt es auf gute Unterhaltung an. Und das ist eine schwierige Angelegenheit. Denn wenn sämtliche Erwartungen bedient werden, wird sofort Langeweile daraus.

Dies beweist auch die neue Produktion des Theaters des Westens. In der Regie von Helmut Baumann wird der Stoff des „Cyrano de Bergerac“ aufbereitet. Das ist gewagt, denn die Geschichte des langnasigen Dichterhelden ist durch Theater und Film bis zum Überdruß bekannt.

Neu ist an dem Musical „Cyrano“ nur die Musik, und die ist so frisch wie eine aufgebackene Schrippe. Dabei waren die Erwartungen, die in dieses Musical gesetzt wurden, ganz besonders hoch. Endlich einmal sollte diesen amerikanischen Broadway-Musicals mit vereinter europäischer Kraft so richtig der Rang abgelaufen werden. Das Drama stammt aus Frankreich, die Inszenierung aus Deutschland, und der Rest kommt aus Dänemark. Aber Europa allein ist kein Programm.

Der Komponist Sebastian – alias Knud Christensen – und die Theaterleute Flemming Enevold und Pierre Westerdahl haben zu verantworten, daß das urromantische, aber dennoch bissige Drama des Edmond Rostand zu einer anachronistischen Herz-Schmerz-Geschichte wurde. Dabei sind die Dialoge und die Handlung gar nicht so schlecht: Wenn Cyrano (Joachim Kemmer) seine scharfe Zunge wetzt oder der Pastetenbäcker (Cusch Jung) Verslein schmiedet wie einstmals die unglückselige Friederike Kempner, so scheint noch immer der französische Esprit durch das europäische Konglomerat.

Nun ist das Ganze aber ein Musical, und da ist die Musik keine Nebensache. Dummerweise stört sie hier regelrecht. Denn sie ist so banal, so aalglatt komponiert, daß man sich vor Verlegenheit im bequemen Theatersessel winden möchte. Kein Klischee wird ausgelassen: eine Militärtrommel für die Herren mit der flinken Waffe, Harfe und Flöte für die schöne Roxane (Anita Eberwein). Wenn vom Balkon die Frauenchöre in seliger Harmonie ätherische Klänge flöten, so kann man getrost das Taschentuch zücken; seit dem Gesang der Nymphen in Walt Disneys „Arielle, die Meerjungfrau“ war selten so Rührendes zu hören. Und wenn Cyrano mit seiner Angebeteten im Duett singt, könnten Maria und Margot Hellwig vom Musikantenstadl vor Neid erblassen.

Der Musik fehlt in dieser Terzenseligkeit durchgängig Schwung und ein energisches Timing. Der Mut zur Dissonanz ist in der Rockmusik und bei berühmten Kollegen, wie Gershwin oder Morricone, das Salz in der Suppe. Daran mangelt es hier völlig, und deswegen ist das alles fad. Das Flotteste, weil Modernste, ist eine Passage à la Michael Nyman, in der Cyrano heftig an Roxane denkt. Ansonsten hat der Komponist die letzten hundert Jahre verschlafen. Und das raubt der Sache den Witz.

Wenn überhaupt herzlich gelacht werden kann an diesem Abend, so ist das Joachim Kemmer zu verdanken. Er hat die schwierige Aufgabe, gegen den sinnlichen Filmhelden Gerard Dépardieu anzuspielen, und das gelingt ihm gut – mit eifersüchtigen Grimassen, seinem mißgelaunten Brummen und dem drolligen Charme seiner wunderbaren Synchronstimme. Kemmers letzter TV-Auftritt war in der Serie „Matchball“ bei Howard Carpendale, den er zum Glück nicht mitgebracht hat.

Ansonsten beschränkt sich die Heiterkeit im Publikum eher auf verlegenes Gekicher, wenn etwa der Chor der Nonnen fromm über die Bühne pilgert. Die haben ein so heiliges Liedchen auf den Lippen, daß man sich Whoopi Goldberg als Kantorin herbeiwünscht, auf daß sie den Laden mal in Schwung bringen möge.

Wenn nun aber Witz und Power des Stückes fehlen, so stellt sich die Frage, was denn dann die Sache noch unterhaltsam machen soll. Betrachtet man diese Geschichte nämlich nüchtern, so ist sie nicht nur langweilig, sondern geradezu ein Graus. Da wird gekämpft um Mannesehre, da sind die Frauen noch zu Hause und die Guten wirklich gut. Wenn das alles nicht lustig ist, so ist es wohl ernst gemeint. Und dann gute Nacht. „Krieg ist Verrat am Leben“, singt das Heer der Gascogner Kadetten, bevor sie sich in den Tod stürzen. So etwas heutzutage noch mit schwungvoller Marschmusik zu untermalen und mit Wohlklang abzuschwächen, ist nicht nur altmodisch, sondern auch noch zynisch. Wer die Geschichte von Cyrano wirklich noch nicht kennt, gehe lieber ins Kino: das ist billiger, dauert nur halb so lange, und gesungen wird auch nicht. Christine Hohmeyer

„Cyrano de Bergerac“: Bis 6.11., Di-Fr 20 Uhr, So 18 Uhr, Theater des Westens, Kanstraße, Charlottenburg.