Wie konnte es dazu kommen?

■ betr.: „Applaus für die Totalitaris mustheorie“, taz vom 5.9.1994

In seinem Artikel über die Veranstaltung der Böll-Stiftung „Mit den Rechten reden?“ schreibt Uwe Rada: „Heraus kam eine Ermunterung an all jene, die schon immer gern die Vernichtungsdiktatur der Nazis mit der SED-Herrschaft gleichsetzen wollten“ und „denen ein Dialog um jeden Preis, auch mit der Jungen Freiheit, offenbar näher lag als die Konfrontation mit dem politischen Gegner.“

Wie konnte es dazu kommen?

Es begann damit, daß Wolfgang Templin von der „Welle von Haß und Niedertracht“ berichtete, die nach der Veröffentlichung seines Interviews in der rechtsextremen Jungen Freiheit über ihn hereingebrochen sei. Kritische, nicht einmal polemische Statements und Fragen zu seinem Vorgehen und seiner Position wurden nach einiger Zeit von Teilen der etwa 30 Anwesenden als „stalinistische bzw. inquisitorische Verhörmaßnahmen“ denunziert; unterstützt wurden sie leider auch von einem anwesenden Redakteur der Jungen Freiheit, der sich „an FDJ-Methoden erinnert fühlte“. Im übrigen wurde Humanität angemahnt. Was sollte und soll man dazu sagen? –

Es bleibt der Eindruck, daß Wolfgang Templins Hauptanliegen die Aufarbeitung des SED- Unrechts ist, bei der er sich von „den Linken“ alleingelassen fühlt, und daß ihn vor allem in diesem Zusammenhang die „Nationale Frage“ interessiert. Eine andere Begründung für sein neuerwachtes Interesse am Nationalen: Nur über das Nationalgefühl seien angesichts der Armut in Ländern des Ostens und Südens den Wessis die Transferleistungen nach Ostdeutschland vermittelbar. Mit Schäuble wollte er allerdings nicht verglichen werden.

Ganz offensichtlich hat er sich inzwischen irgendwo in der Mitte des politischen Spektrums angesiedelt. („Kampf gegen Links- und Rechtsextremismus“) Warum auch nicht? Das ist sein gutes Recht. Wenn, dann muß er sich auch im klaren sein, daß er damit nicht mehr den bündnisgrünen Standpunkt vertritt, und sich fragen, ob er nicht die Konsequenzen daraus ziehen sollte. Zumal der „ausgewogene Kampf der Mitte gegen Links- und Rechtsextremismus“ konkret ja beispielsweise so aussieht, daß ein Lehrer, der den Behörden extreme Ausländerfeindlichkeit vorwirft, weil sie einen schwerbehinderten Romajungen nach Mazedonien abschieben, für diese Beleidigung die gleiche Strafe aufgebrummt kriegt wie ein Lehrer, der öffentlich den Holocaust an den Juden leugnet. (4.000 bzw. 5.000 Mark Geldstrafe – siehe taz vom 6.8./9.8./30.8./und 2.9). (Ich unterstelle dabei im übrigen nicht, daß Wolfgang Templin das eben beschriebene Beispiel für „Ausgewogenheit nach links und rechts“ gutheißt, es ist nur leider durchaus repräsentativ.) [...] Andreas Unger, Bündnis 90/

Die Grünen