: Wo Ich war, soll Es werden
Die Verwandlung: Mike Nichols „Wolf“ – ein Pläsier für die Schöne und das Biest. Nächtliches Raunen à la Nicholson sexy wie noch nie ■ Von Mariam Niroumand
„Ich habe geträumt, daß es nacht ist und ich in meinem Bett liege (mein Bett stand mit dem Fußende gegen das Fenster, vor dem Fenster befand sich eine Reihe alter Nußbäume. Ich weiß, es war Winter, als ich träumte, und Nachtzeit). Plötzlich geht das Fenster von selbst auf, und ich sehe mit Schrecken, daß auf dem großen Nußbaum vor dem Fenster ein paar weiße Wölfe sitzen. Sie waren ganz weiß und hatten große Schwänze wie Füchse oder Schäferhunde. Sie saßen ganz ruhig ohne jede Bewegung auf den Ästen des Baumes und schauten mich an.“
Freuds „Wolfsmann“, der diesen Traum während der Analyse erinnerte, hat mit Jack Nicholsons Werwolf verblüffenderweise mehr gemein als all die „American Werewolves“ vorher. Was den Regisseur Mike Nichols an dem Stoff interessierte, war nicht „jemand läßt sich hinter die Couch fallen und kommt behaart und mit großen Reißzähnen bewaffnet wieder hoch“. Die Urszene, nach der Freud suchte, ist für Nichols Amerika vor dem Sündenfall, das Land vor den Worten, in der Hand der Ureinwohner, der Native Americans, des Es. „Carnal Knowledge“ hieß einer der Filme, in denen Nichols und Nicholson sich schon einmal, 1971, dem Thema genähert hatten, damals allerdings in Form eines Gesellschaftsdramas (für Nichols die Fortsetzung seiner Arbeit an „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, seinem Regiedebüt von 1966, oder „Die Reifeprüfung“ von 1967).
Auch wenn das Horror-Fanzine Fangoria sich noch so mit einem blutglänzenden Sonderheft zu Werwölfen ins Zeug legt – es wil den Autorennicht so recht gelingen, „Wolf“ für ihre Mitternachtsgemeinde zu reklamieren. Grimm, Ovid, Kafka – Nicholson las alles, angeblich auch Tierfilme,und studierte Wölfe im Zoo.
Die Geschichte des schnarchigen New Yorker Verlagsangestellten Will Randall beginnt eher als Ballade, als „Tod eines Handlungsreisenden“. Bei einer Nachtfahrt durchs verschneite New England (Vampire-Country, voller Gothic Thrills) springt ihm aus dem Dunkeln ein Wolf vor die Windschutzscheibe. Randall steigt aus, befühlt das totgeglaubte Tier, ein gelbes Auge flackert auf und fletsch! hat ihn der Wolf gebissen und stürzt zurück ins Dunkle.
Dies ist der Beginn einer langen Transformation; und wie bei Cronenbergs „Die Fliege“ befindet der Doktor, den Randall am nächsten Morgen in New York aufsucht, es sei eine kleine Schramme, nichts weiter, und daß er glaubt, Will käme mit einer Tollwut-Impfung davon. Zurück im Mac- Leish-Verlag (als Location dient der gefängnishafte Stahl-Marmorbau des Bradbury Buildings in Los Angeles), erweist sich Will als Wächter am letzten Hort der Zivilisation, wie wir sie kannten, im Herzen der Gutenberg-Galaxie. Die Stadt drum herum, das New York des Produktionsdesigners Bo Welch, der schon die Ruinenwelten von Edward Scissorhands oder das Gotham City für Batmans Rückkehr gemacht hat, scheint venezianisch in sich zusammenzusinken. Abwasserschächte, berstende Kanalisationen, üble Gerüche – Big City ist analisch, bevor sie animalisch wird.
Auf einer Party bei seinem Chef, in einer Villa im Stil von Charles II, auf freiem Feld, mit Pferden und livrierten Dienern in Long Island, lernt Randall, daß man ihn sanft entmachten und zu diesem Behufe nach Osteuropa schicken will – den traditionellen Jagdgründen der Werwölfe. Als er nach dieser Nachricht gedeckelt durch den Garten schleicht, stellt er erstmalig fest, daß die Pferde vor ihm scheuen – und daß der Hausherr eine sehr schöne Blondine zur Tochter hat, die ihm im entscheidenden Moment einen Drink reicht; vom schwarzen Schaf, daß sie in ihrer High-class-Familie ist, zum Wolf im Angestelltenpelz.
Das Ganze gleicht Nichols letztem Film „Regarding Henry“, der Geschichte eines arroganten Arztes, der durch die Entdeckung eines Gehirntumors aus dem Yuppiedrom gestoßen wird, zurückverwiesen auf die einfachen Dinge des Lebens, auf Schlafen, Essen und vor allem das Lieben.
Ganz so einfach ist es damit aber in „Wolf“ nicht. Einer der gestochensten und wahrsten Dialoge, die in letzter Zeit im Kino zu hören waren, spielt sich ab, als Laura und Will am Fluß sitzen und sie plötzlich zickig geworden ist, weil sie mit Will eigentlich nur ihren Vater brüskieren, aber es dann doch nicht so ganz genau wissen wollte. „Wissen Sie, Laura“, sagt Will irgendwann resigniert zu ihr, „sie sind sehr schön. Aber Sie wollen nicht, daß man sie deshalb mag, sondern, daß man durch diese Fassade zu ihrem wahren Charakter durchdringt. Nun sind sie aber verschlossen, unfreundlich und haben eigentlich herzlich wenig zu sagen. Der einzige Grund, weshalb man das alles in Kauf nehmen würde, ist ihr Aussehen, was sie wiederum nicht wollen ...“
Was jedenfalls den Film von all seinen Vorläufern, einschließlich „The Howling“, wohltuend unterscheidet, ist, daß die Verwandlung nicht in die Verrohung führt, sondern in ihr genaues Gegenteil. Will stellt eines Tages fest, daß er bei geschlossenen Türen die verzweifelten Anrufe hört, die ein ehrgeiziger Kollege hoch oben im dritten Stock tätigt, daß er den winzigen Schluck Tequila im Atem eines anderen spürt, daß er also hellwachen Sinnes ist. Das Es, vor dem man also nun so lange gezittert und an dem man bis zur Unkenntlichkeit herumsublimiert hat, vollbringt die Kulturleistungen, nicht das erbärmliche Yuppie-Ich, an dem der schleimende Aufsteiger (James Spader) krankt. Anders als „The Fly“, in dem die wahre Natur des Menschen, die der Wissenschaftler in seinem Selbstexperiment hervorbrütet, dem Instinkt eines Insekts weit unterlegen ist; der sie beiseite drängt und überwuchert wie eine Phobie den Alltagsverstand.
Nicholsons Stimme würde reichen, Bataillone von Müttern Theresa zu Mondanbeterinnen werden zu lassen; und so sind die nicht unaparten Special Effects eigentlich eine Nebensache. „Wolfman, no make up“ hieß der Film, den Jack Nicholson schon seit Jahren machen wollte, und so kommen die automatisch betriebenen Reißerkiefer und computergenerierten Verfolgungsjagden im Wald erst im letzten Drittel des Films zur Anwendung. Rick Baker, der make- upper von „American Werewolf“, von dem auch einige Gremlins und die „Gorillas im Nebel“ stammten, hat sich entsprechend zurückgehalten, nicht mal eine Gumminase gibt es für Nicholson. Puristen und Freunden des abstrakten Andeutens war es trotzdem noch zuviel; lieber hätten sie's, wenn die Verwandlung gänzlich innerlich bliebe, keine Haare, keine Zähne, keine gelb-grün funkelnden Raubtieraugen. Aber das ist, als würde man von einem Fußballfan verlangen, der Zeitungsbericht über das stattgehabte Spiel sei doch genug. Ohne Blutbeutel und Splattervollmond kein Genrekino – wer's nicht mag, kann sich ja mit Vorabendserien begnügen.
„Wolf“. Regie: Mike Nichols. Produktion: Douglas Wick, Buch: Jim Harrison und Wesley Strict, Kamera: Guiseppe Rotuno, Special Effects: Rick Baker. Mit: Jack Nicholson, Michelle Pfeiffer, Kate Nelligan, James Spader u. a. Columbia/Tri Star, USA, 1994, 120 Min.
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