„Sonne der Demokratie“ im Anrücken

Heute abend will Bill Clinton im US-Fernsehen zur Intervention auf Haiti Stellung nehmen / In Bevölkerung und Kongreß noch Widerstand / Die Truppen sind unterwegs  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Glasnost war bislang kein hervorstechendes Merkmal bei der Vorbereitung amerikanischer Militärinterventionen. Doch im Fall Haiti gewähren Pentagon, Clinton- Administration und US-Kongreß der amerikanischen Öffentlichkeit soviel Einblick wie nie zuvor in ihre Diskussions- und Entscheidungsprozesse – was die Popularität der genannten Institutionen in den Augen der Bürger nicht gerade erhöht.

Die Einsatzpläne sind in groben Zügen seit langem bekannt und in jeder Zeitung nachzulesen: Rund 20.000 US-Soldaten sollen – möglicherweise schon nächste Woche – in Haiti einmarschieren, den Abtritt der Militärjunta erzwingen, die Rückkehr des demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide absichern – und dann durch ein kleines, multinationales Kontingent ersetzt werden. Das muß dann Militär und Polizei gleichzeitig spielen, bis es wiederum unter amerikanischem Kommando durch 6.000 Peacekeeper ersetzt wird, deren Mission bis spätestens Februar 1996, also vor Beginn der heißen Phase des nächsten Präsidentschaftswahlkampfes, beendet sein soll.

Daß es tatsächlich eine Invasion zum Sturz der Militärjunta geben wird, daran zweifelt derzeit in Washington kaum jemand. Mit Hubschraubern und über viertausend Soldaten an Bord sind die Flugzeugträger „America“ und „Eisenhower“ auf dem Weg nach Haiti. Die winzigen Kontingente der siebzehn anderen Staaten, die sich zur Teilnahme an der Intervention bereit erklärt haben, sind zu den US-Truppen gestoßen – teilweise fünfzig Mann starke Einheiten, die ohne die geringste Bewaffnung entsendet wurden. Sie werden derzeit ausgerüstet, unterstreichen aber den Eindruck, daß es sich bei ihrer Beteiligung um ein reines Alibi handelt, um den multinationalen Charakter der Interventionstruppe zu betonen.

Im amerikanischen Fernsehen sind die ersten Abschiedsszenen zwischen Soldaten und Familienangehörigen zu sehen. Gleichzeitig wird der desolate Zustand des potentiellen Gegners, der haitianischen Armee, in allen Farben geschildert.

Unter anderem wahltaktische Gründe werden US-Präsident Clinton für seine plötzliche Handlungsbereitschaft unterstellt: Vor den Kongreßwahlen Anfang November wolle er durch eine Demonstration militärischer Stärke noch einmal für seine Partei Punkte sammeln. Außerdem stehe Anfang Dezember das Gipfeltreffen aller amerikanischen Regierungschefs in Miami an, bei dem der Gastgeber nicht mehr mit der „Altlast“ Haiti antreten möchte.

Streit ist über die Frage entbrannt, ob US-Präsident Bill Clinton für die Entsendung von Truppen nach Haiti den Kongreß um Erlaubnis fragen muß oder nicht. Ja, sagen vor allem die Führer der Republikaner. Nein, kontern die Fraktionsspitzen der Demokraten. Bei den letzten Polizeiaktionen im „Hinterhof“, wie Mittelamerika und die Karibik in den USA gerne genannt werden, waren die Positionen spiegelverkehrt: Nachdem US-Präsident Reagan 1983 Truppen nach Grenada und sein Nachfolger George Bush 1989 „US- Boys“ nach Panama entsandt hatten, klagten die Demokraten, daß das Parlament übergangen worden sei, während die Republikaner die Alleingänge ihrer Präsidenten verteidigten.

Die sogenannte „War Powers Resolution“, vom Kongreß 1973 in Reaktion auf den Vietnamkrieg verabschiedet, verpflichtet den amerikanischen Präsidenten, den Kongreß über die Entsendung amerikanischer Truppen in feindliches Gebiet zu informieren. Die Resolution begrenzt solche Einsätze ohne parlamentarische Zustimmung auf maximal 60 Tage. Im Weißen Haus ist man sich klar darüber, daß sich für die Militärintervention in Haiti keine Mehrheit von Kongreßabgeordneten finden läßt. Folglich beruft man sich auf die UNO-Resolution 940, die den Einsatz „aller notwendigen Mittel“ zur Absetzung der Militärs in Haiti legitimiert, und argumentiert zudem, daß es sich bei der Intervention nicht um einen kriegerischen Akt, sondern um eine „Polizeiaktion“ handele.

Vernehmbarer Widerstand gegen die Truppenentsendung regt sich nicht nur unter den Abgeordneten, sondern auch in der Bevölkerung. Eine Meinungsumfrage der New York Times und des Fernsehsenders CBS vom letzten Wochenende ergab, daß 66 Prozent der Befragten gegen eine Militärintervention zur Wiedereinsetzung von Aristide sind. Lediglich 29 Prozent sprachen sich dafür aus.

Nun ist öffentliche Opposition gegen Militäreinsätze in den USA durchaus normal. Kurz vor Beginn des Golfkriegs war nur eine kleine Minderheit der Amerikaner für die Entsendung von Truppen. Kaum flimmerten die ersten Kriegsbilder über CNN, stieg die Zahl der Kriegsbefürworter auf 75 Prozent. Auf diesen „Action-Effekt“ hofft man im Weißen Haus auch diesmal. Heute abend will Bill Clinton in einer Ansprache an die Nation die „amerikanischen Interessen“ in Haiti darlegen – in der Hoffnung, daß sympathischere Resultate aus Meinungsumfragen in den folgenden Tagen es leichter machen, die Kritik aus dem Kongreß zu ignorieren.

Das US-Verteidigungsministerium, dessen Vertreter bislang aus ihrer Abneigung gegen eine Intervention und Jean-Bertrand Aristide kein Hehl gemacht hatten, ist unterdessen damit beschäftigt, die haitianische Bevölkerung auf den Anblick von 20.000 US-Soldaten vorzubereiten. Aus US-Flugzeugen wurden in den letzten Tagen Flugblätter über Haiti abgeworfen, auf denen das Pentagon fast lyrisches Talent demonstrierte: „Die Sonne der Demokratie“, wurde da auf kreolisch angekündigt. „Das Licht der Gerechtigkeit. Die Wärme der Versöhnung. Mit der Rückkehr von Präsident Aristide.“ Nach Angaben der New York Times sollen die meisten Flugblätter jedoch bei starken Windböen aufs offene Meer geflattert sein.