Gemeingefährlich -betr.: "SS-Ruinen als 'herkömmlicher Zustand–"", taz vom 9.9.94

Betr.: „SS-Runen als ,herkömmlicher Zustand'“?, 9.9.94

Wenn RA Jürgen Rieger seinen neonazistischen Neigungen ungeniert frönen kann, so ist das alleine ein Zeichen für den Zustand der Gesellschaft, die ihn seit geraumer Zeit hinnimmt und gewähren läßt. Die Reaktion auf sein - und seinesgleichen - Treiben beruht zumeist im Schweigen, abgesehen von beiläufigen Presse- und sonstigen Medienberichten.

Im Jahre 1981 (!) machten seine neonazistischen Umtriebe zwar Schlagzeilen, hinderten ihn aber nicht an seinem gemeingefährlichen Treiben. Er fungierte s.Zt. als Verteidiger des angeklagten ehemaligen SS-Oberführeres und Polizeiführers Arpad Wiegand, der wegen der Erschießung von Juden im Distrikt Warschau angeklagt war.

Rieger verstieg sich zu den infamsten Beleidigungen der jüdischen Opfer und ihrer überlebenden Angehörigen. So erklärte er u.a., daß der Schießbefehl gegen Juden, die außerhalb des Ghettos angetroffen wurden, allein als rigorose Eindämmungsmaßnahme gegen die Ausbreitung der Typhus-epidemie gedacht und gehandhabt wurde. Weiterhin erklärte er, die Errichtung des Ghettos sei nicht aus Rassenhaß erfolgt, sondern aus Gründen der Seuchenbekämpfung und zum Schutze der Juden. Die Juden selbst hätten sich aber gegen hygienische Maßnahmen gewehrt, auch dagegen, Bäder zur Reinigung ihrer schmutzigen Körper zu nehmen. Es hätte auch keinerlei Not im Ghetto bestanden usw. usf.

Was also Wunder, wenn derjenige, der 1981 so argumentieren durfte, heute weiterhin munter Nazismus praktiziert? Ich war s.Zt. offizieller Berichterstatter der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland und als steter Beobachter des Prozesses tätig.

Einer Anzeige von mir gegen Rieger wegen Verunglimpfung der Opfer des Nationalsozialismus folgte die Androhung einer Anzeige von ihm gegen mich, die aber nie erfolgte. Dafür aber wurde ich monatelang durch anonyme Telefonanrufe terrorisiert von seiner zahlreichen Gefolgschaft.

Im übrigen sei festgestellt, daß s.Zt. kein Protest und kein Aufschrei der breiten Öffentlichkeit gegen Riegers neonazistische und antisemitische Argumentation erfolgte.

Darf ich daran erinnern, daß in den Jahren bevor ich 1933 Deutschland und Hamburg verließ, hier in Hamburg ein Anwalt, der angeklagte Nazirabauken und SA-Schläger verteidigte, durch seine forschen pronazistischen Argumentationen Aufsehen erregte. Sein Name: Roland Freisler.

In diesem Sinne haben wir wohl noch mancherlei von Herrn Jürgen Rieger zu erwarten. So deprimierend und makaber es ist, so gestehe ich, daß ich diesen Leserbrief nicht ohne persönliche Befürchtungen schreibe.

Arie Goral