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Das Leben (über)spielen

■ Den Friedrich-Luft-Preis der „Berliner Morgenpost“ erhielt Worons Teatr Kreatur – ein Lichtblick in der Freien Szene, doch kaum die ästhetische Rettung insgesamt

Das Theater von Andrej Woron macht glücklich. Es appelliert geradezu schamlos an unsere Emotionen. Es nährt unsere Hoffnung auf Durchschaubarkeit der Welt und bestätigt gleichzeitig die Angst vor der Unlösbarkeit der Misere. Es zeigt einen Haufen zerlumpter Gestalten, deren Handeln jeweils nur von einem Trieb, einem Gedanken geleitet wird. Marionetten sind es, lebende Bilder, Schießbudenfiguren, die den ihnen zugewiesenen Weg nicht verlassen können. Reflexion ist nicht vorgesehen, Konfrontationen verlaufen tragisch. Und wo die Schicksale ohnehin anderswo entschieden werden, muß man sich auch nur um den Moment kümmern. So sind die Figuren lustig, wenn etwas lustig ist, traurig, wenn etwas traurig ist. Der Mensch: die Kreatur.

Das Theater von Andrej Woron macht auch süchtig, denn es appelliert ebenso schamlos an unsere Sinne. In den „Zimtläden“ riecht es nach Zimt, und stets bevölkern phantastische Objekte gleichberechtigt mit den Schauspielern die Bühne: ein drehbarer Sonnenschirm beispielsweise in „Das Ende des Armenhauses“, an dessen Skelett statt Stoff tote Ratten und Rattenfallen baumeln.

Oder die Basttasche in Form eines Huhnes in den „Zimtläden“. Von den angeschminkten Masken zu schweigen, und den Ebenbildpuppen der Schauspieler, die immer wieder Teile der Rollen übernehmen – stumme Zitate lebloser Alter egos, Bestätigung und Trost der eindimensionalen Existenz. Und über allem liegt die Musik von Janusz Stoklosa: rhythmisch und einfach, fröhlich oder traurig, Jahrmarktsmusik. Bildertheater der sehnsüchtigen Art. Bei Andrej Woron wird niemand belehrt, niemand gebessert, aufgerüttelt, aber auch niemand getäuscht. So ist das Leben nicht, aber so kann man es sehen, so kann man es (über)spielen. Unterhaltungstheater.

Der 42jährige Pole Woron lebt und arbeitet seit 1982 in Berlin. Seit fünf Jahren betreibt er sein Kreaturentheater im Theater am Ufer. Für die finanzielle Grundlage sorgt zuallererst der Mäzen und Produzent Allard Stupperich, hinzu kommen Fernseh-Honorare und eine kleine Absicherung durch die Optionsförderung des Senats mit jeweils dreijähriger Laufzeit.

Woron hat künstlerisch ein Stück Polen, ein Stück Osteuropa nach Berlin gebracht. Der Einfluß von Tadeusz Kantors Theater Cricot2, von dessen „Theater des Todes“, ist unverkennbar: Puppen, Objekte, und ein Fatalismus, der die Inszenierungen immer wieder wie Visionen eines Totenreichs erscheinen läßt.

Seine Geschichten stammen von Bruno Schulz („Zimtläden“, 1990), Isaak Babel („Das Ende des Armenhauses“, 1991) oder Itzak Manger („Ein Stück vom Paradies“, 1993). Der Dramaturg Martin Pohl, ein Brecht-Schüler, bearbeitet die Texte für die Kreaturenbühne und Andrej Woron, der Bildende Künstler, stattet sie aus, malt sie aus, installiert sie mit Menschen, Puppen und Objekten. „K.“, Kafkas K., das Anfang des Jahres Premiere hatte, zeigte jedoch auch die Grenzen der stummfilmhaft-expressionistischen Ästhetik. Ein Stoff, der ohnehin gegen seine klischeehafte Rezeption ankämpfen muß, zerfiel hier völlig in Zitate. Marionetten können die Grenzen des menschlichen Daseins markieren, was sich innerhalb dieser Grenzen abspielt, zeigen sie nicht.

Andrej Woron ist erfolgreich. „Das Ende des Armenhauses“ wurde zum Theatertreffen 1992 eingeladen, 3sat produzierte eine Fernsehfassung, ebenso wie vom „Stück vom Paradies“. Jetzt wird das Theater am Ufer um- und ausgebaut, und am Mittwoch abend erhielt das Teatr Kreatur – nach Frank Castorfs „Rebellen“ von Bronnen im letzten Jahr – den zweiten Friedrich-Luft-Preis der Berliner Morgenpost für seine Gesamtleistung und insbesondere für „Ein Stück vom Paradies“.

Für die Morgenpost-Jury (zu der neben dem Kritiker Volker Österreich unter anderen auch Otto Sander und Festspiele-Chef Ulrich Eckhardt gehören) hob Nele Härtling am Abend der Preisverleihung vor allem die weitgehend freie Finanzierung der Truppe um Woron hervor, daß da welche Theater einfach machen und nicht erst die Hand aufhalten. Gleichwohl sei eine ökonomische Absicherung des Teatrs Kreatur wünschenswert. Die 15.000 Mark des Friedrich-Luft-Preises sind nur ein Tropfen für 25 Ensemblemitglieder, die derzeit 1.000 Mark im Monat verdienen.

Kultursenator Roloff-Momin hatte dann auch eine kleine Versprechung im Gepäck. Der Mietvertrag für das Theater am Ufer würde nicht, wie vorgesehen, 1997 enden, sondern man arbeite an einer Verlängerung – was immer das bedeutet. Auch daß die Optionsförderung nächstes Jahr verlängert würde, hielt der Kultursenator – der das nicht zu entscheiden hat – für sehr wahrscheinlich.

Härtling hatte auch die Kooperation des Teatrs Kreatur mit dem Fernsehen sehr gelobt, eine Orientierung nach außen, die auch der breitenverständlichen Ästhetik Worons entspreche. Andere Theater kümmerten sich kaum um dieses Medium, so habe das ZDF auch ohne Proteste den Sendeplatz für die „Aktuelle Inszenierung“ einfach streichen können. „Ist das Theater so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß die Präsenz im öffentlichen Bewußtsein nicht mehr zählt?“ fragte sie.

Trotz alledem: Worons Theater ist als Einzelfall zu würdigen. Maßstäbe setzen kann es – ästhetisch – nicht. Und es macht die Rede von einer Krise der Theaterkunst nicht hinfällig, auch wenn das am Preisabend gerne so gesehen wurde. Hier wird das Bedürfnis nach Emotionalisierung, nach Verführung, nach Alltagsflucht im Theater bedient, auf unprätentiöse Weise zwar, aber doch: bedient.

Man bekommt Kinderaugen vor Worons Puppenbühne, 70 Minuten lang. Länger dauert keine Inszenierung, und länger hielte man es wohl auch nicht aus, nicht die Statik, die Redundanz, das Holzschnitthafte, nicht das Trippeln und Kopf-Schieflegen, nicht das Kreischen, nicht des wundervollen Mimen Dzidek Starczynowskis aufgerissene Augen.

So ist das Leben nicht und war es nie. Nicht ohne Grund stehen Menschen irgendwann auf von ihren Knien und motten ihr Kasperletheater ein. So schön einfach ist das alles nicht. Selbst wenn es bei Woron so scheint, selbst wenn man es hier für 70 Minuten genießt – andere, aufklärerische, gegenwartsbezogene Stile müssen ebenso gefordert und gefördert werden. Auch wenn sie die Massen weniger anziehen und weniger fernsehgeeignet sind. Petra Kohse

„Ein Stück vom Paradies“ noch heute und morgen, 20.30 Uhr, gastspielweise im Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg.

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