■ Totgesagte leben (nicht immer) länger: Die FDP ist eine überflüssige Partei geworden
: Der Sargdeckel bleibt zu

Die Freidemokraten sind eine politische Leiche. Noch klopft sie ab und zu an den Sargdeckel. Von Landtagswahl zu Landtagswahl zunehmend schwächer, weil ihr das einzige schwindet, was sie noch am Leben hält – die inhaltsleere Funktion eines Züngleins an der Waage der Macht. Aus fünf Landtagen und dem Europaparlament ist die FDP in den letzten Monaten rausgeflogen. Sie ist angezählt in einem verzweifelten Existenzkampf, bei dem der Knockout am 16. Oktober bei „acht“ erfolgt. Dazwischen liegt nur noch die bayrische Wahl vom 25. September. Mit derzeit 5,2 Prozent haben die Liberalen auch dort keine guten Chancen, Zeichen des Überlebens von sich zu geben.

Doch wäre es falsch, den Niedergang der FDP allein an den Wahlergebnissen auszumachen. Mit ihnen quittierten die Bürger nur, was sich schon länger innerhalb der Partei abzeichnete – das Ende des Liberalismus in der FDP. Das war das eigentliche Sterben. Vier Jahrzehnte war die Partei aus der politischen Landschaft der alten Bundesrepublik nicht wegzudenken. Dort hauste sie nicht irgendwo, sondern immer genau in der Mitte. Genaugenommen wurde die Mitte immer dort definiert, wo sich die FDP gerade befand. Einem Wahlvolk, dem Parteipolitik vornehmlich ein Übel ist und dem radikale Positionen eine Verdammnis sind, galt der Juniorpartner in der Regierung allemal als das kleinere Übel. Kein Geschmacksverstärker, sondern die Mehlschwitze, mit der sich 25 Jahre lang christdemokratische und 13 Jahre lang sozialdemokratische Regierungspolitik auf ein Mittelmaß zusammenkochen ließen.

Koalierten sie mit der SPD, spielten sie zur Beruhigung der Wirtschaft das Palliativ gegen sozialstaatliche Überforderungen des Staatshaushaltes. Im Verbund mit CDU/CSU gaben sie den Part des Rechtsstaatsgaranten gegen überbordende Law-and-order- Positionen ab. So war sie nie ganz etwas Eigenes, zumeist jedoch die vermeintlich bessere Hälfte des Partners.

Die bündnispolitische Mimikry gelang in den letzten 12 Jahren konservativ-liberaler Koalition bis zur Vollendung. All das, was die FDP noch von der CDU hätte unterscheidbar machen können, verschwand in der Versenkung, programmatisch wie zunehmend auch personell. Welchen Sinn aber macht Liberalismus ohne Bezug auf die elementaren Bürgerrechte? In ihren Grundsätzen verstand sich die FDP immer als Partei der Verfassung, der Menschenrechte. Ihr Versagen in der Asyldebatte ist signifikant und allein deshalb nicht weiter erörtert worden, weil der Tabubruch, der sich seinerzeit bei den Sozialdemokraten vollzog, als der größere galt. Und wo die FDP es sich einmal zur Zierde gereichen ließ, auf rechtsstaatlichen Grundsätzen zu beharren – wie beim Verbrechensbekämpfungsgesetz –, war dies wohlabgewogen, galt nicht dem vollen Programm der Verletzung der Bürgerfreiheiten, sondern – siehe Lauschangriff – einem Teilaspekt. Längst nämlich haben die Liberalen akzeptiert, daß Grundrechte nicht die Konstanten sind, an denen deren Einschränkung zu messen und zu bewerten ist.

Nirgends wäre das politische Feld der Liberalen originärer gewesen und nirgens dokumentiert sich ihr Versagen manifester als in der Debatte um eine Verfassung des vereinigten Deutschland. Kläglich das Ergebnis dieser Debatte und fatal ihr ureigenster Beitrag. Allein das Vorhaben, die Vereinigung als Anschluß zu zelebrieren und dem Grundgesetz aus pragmatischen Erwägungen den Verfassungsrang vorzuenthalten, hätte bürgerrechtliche Verweigerung provozieren müssen. Sie unterblieb, weil die Liberalen mittlerweile ein tiefgehendes Mißtrauen gegen das Staatsvolk hegen.

Wohl deshalb verzichteten sie auch darauf, plebiszitäre Elemente aufzunehmen oder sich für die Rechte ethnischer, kultureller und religiöser Minderheiten ins Zeug zu legen. Die Koalition wäre schlecht beraten, wenn sie um diese Punkte einen Zirkus aufführen wollte, befand während der Beratung um diese Punkte der FDP-Generalsekretär Werner Hoyer. Die Partei hat sich daran gehalten, obgleich sie nun in diesem Zirkus nur noch den Clown spielt.

Den authentischen Part in der Debatte um die Vereinigung des ehedem getrennten Staatsvolkes nahmen die Vertreter der Bürgerbewegung der ehemaligen DDR ein. Bürgerrecht als Freiheitsrecht ist dort programmatisch eher aufgehoben, auch wenn das Bündnis 90 sein Selbstverständnis vergangenheitsfixiert definiert und sich sein Antitotalitarismus in verquerer Weise mit einem Anti-Etatismus der Grünen paart, der nach wie vor in dem Ruch steht, Verfassungsfragen als taktische zu begreifen.

Die Bürgerbewegung als originär liberale Bewegung ist nicht nur an der FDP vorbeigegangen, nein, diese hat sich auch noch gerade mit deren Kontrapart liiert. Die Liberalen frönen seitdem im Osten einem Liberalismus der, so er nicht, wie beim Bodenrecht, der eigenen Bereicherung gilt, die Durchsetzung westdeutscher Wirtschaftsinteressen flankiert. Die Selbstdefinition als Partei der Besserverdienenden ist weniger wie vorgegeben ein Lapsus linguae denn vielmehr die präzise soziologische Umschreibung der Nutznießer dieser Politik.

Mit dem sogenannten Elbe-Papier scheiterte im vorigen Jahr der letzte Versuch einer sozialliberalen Korrektur. In diesem Scheitern drückt sich nicht nur der dominante Wirtschaftsliberalismus der Partei aus, in ihm manifestiert sich auch das personelle Desaster der FDP. AutorInnen des Papiers wie etwa die ehemalige Berliner Landesvorsitzende von Braun oder der ehemalige schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Kubicki sind mittlerweile über hausgemachte Affären gestolpert. Andere Protagonisten des Linksliberalismus wie Burkhard Hirsch oder Gerhart Baum treten aus Altergründen ab oder werden parteiintern kaltgestellt. Diese Scharte wetzt auch eine Leutheusser-Schnarrenberger nicht aus.

Kaum eine Partei hatte in den letzten Monaten so viele Rücktritte hoher Funktionäre zu verzeichnen wie die FDP. Abtritte nicht programmatischen Ursprungs, sondern weil die Partei auf ihren Niedergang keine andere Antwort findet als das öffentlich dargebotene Schauspiel der persönlichen Konsequenz – die für die Partei längst keinen Sinn mehr hat. Auch wenn den Liberalen ihr eigenes Dilemma insgeheim seit langem bewußt ist, so endete die programmatische Erneuerung bestenfalls in der Beteuerung derselben. Der Klientelismus findet seinen gemeinsamen Nenner im kurzatmigen Machterhalt, weshalb alle Versuche tiefgreifender Änderung gedeckelt werden. Liberales Profil wurde so auch in der parteiinternen Debatte zum Synonym für den unsicheren Kantonisten in der Koalition, galt in dem Maße als Eigenbedrohung, in dem sich das Selbstverständnis nur noch von der Regierungsbeteiligung herleitete. Aus diesem Dilemma kann sich die FDP nicht mehr befreien.

Wo die Existenzangst grassiert, stellen sich keine Daseinsfragen mehr, wird das Überleben zum Selbstzweck. Was Wunder, daß die einzig bekannte konkrete Wahlaussage des Parteivorsitzenden Klaus Kinkel sein Treuebekenntnis zur Koalition mit der CDU ist. Er kann nur noch auf die Machtmechanismem vertrauen, die der FDP schon häufiger in letzter Minute den Sprung vom bereits prognostizierten Sterbebett ermöglichten.

Der Verweis auf frühere Zitterpartien vor Bundestagswahlen meint mehr als die Passion der FDP fürs Prinzip Hoffnung. Es ist das Rekurrieren auf die Mechanik des altbundesrepublikanisch politischen Spektrums, das der FDP die Rolle eines Stehaufmännchens garantierte. Doch spätestens seit der Wende läßt sich die Parteienlandschaft auch ohne sie denken.

Die Leiche ruhe sanft. Daß nun ausgerechnet Politiker der SPD und der Grünen in ihrer Not, Mehrheiten finden zu müssen, von Ampeln faseln, wo das gelbe Licht am Erlöschen ist, mag zwar zutreffend die Umfallerqualitäten der Liberalen bezeichnen. Es signalisiert jedoch auch die Verfangenheit der beiden Oppositionsparteien in den alten Denkschemata. Dies ist um so fataler, als sie der FDP auf dem einzigen Feld zur Bedeutung verhelfen, auf dem sie selbst noch öffentlich wirksam agiert, dem der Wahlarithmetik und der daraus resultierenden koalitionstaktischen Überlegungen.

Selbst konservative Sozialdemokraten dürften eigentlich nicht mehr an der FDP finden können, als Ralf Dahrendorf bereits 1985 feststellte: Sie „verbindet eine undogmatische, auf Konsens ausgerichtete Wirtschaftspolitik mit einer halb prinzipiellen, halb vorsichtigen Rechtsstaatspolitik und übrigens mit einer mäßig internationalistischen Außenpolitik“. Dahrendorf kam seinerzeit zu dem Schluß, daß „die Liberalen als Partei im Grunde entbehrlich (sind), wenn diese vernünftige Position ihr einziges Merkmal ist“. Heute wäre mancher Liberale froh, wenigstens mit diesen Merkmalen hausieren zu können. Dieter Rulff