Mehr als ein „Versuch“

Für viele Clubs gehören sie zum Prestige, doch bezahlt werden sie viel schlechter als ihre Kollegen: DJeusen in Berlin – Teil I: Electric Indigo  ■ Von Annette Weber

Können Frauen Platten auflegen? Electric Indigo kann. Ursprünglich kommt sie aus Wien. Ruhm und Ruf des berühmten Plattenladens Hard Wax zogen sie nach Berlin, und sie blieb, obwohl sie den Wiener Schmäh schon etwas vermißt. Das Hard Wax ist eine Institution im House- und Technogeschäft, ein Eldorado für Insider. Und Electric Indigo ist DJeuse für diese Sparte.

Sie macht ausschließlich Techno, das ist ihr Rhythmus, diese Bewegung ist ihr Zuhause, das Netzwerk aus aktiven Techno- RaverInnen ihre Familie. Electric Indigo hat die Liebe zum Leben gemacht – einen Alltag, sagt sie, hat sie nicht. Elctric Indigo (bürgerlich: Susanne) ist DJeuse von Beruf. Angefangen hat sie als Plattensammlerin, als schrilles, auffallendes Wiener Nachtkind. Nach dem Abschluß der Schule, zu Beginn des HipHop, begann sie Platten zu kaufen, Kraut und Rüben, von Oper zu Pop.

Electric Indigo, die ihren Namen einem schwarzen Schriftsteller verdankt, sitzt in ihrem Adidas- Schlitzrock und weißen Clogs, mit abrasierten Haaren in einer riesigen Fabriketage in Kreuzberg. Sie streicht sich über den Kopf, lacht verschmitzt und macht den Eindruck, als gäbe es nichts in ihrem Leben, das sie irgendwie bereuen würde. Lustigerweise geht ausgerechnet weiblichen DJs jeder Sinn für teures HiFi ab. In Electric Indigos Wohnung stehen zur Zeit zwei Turntables, die Technics eines Freundes, und zum ersten Mal kann sie auch zu Hause Platten auflegen.

„Ich kaufe immer Platten wie eine Verrückte, ich wollte schon immer gleich alles haben. Aber sonst gibt es gar nichts, an dem ich hänge, materiell, nur die Platten, da bin ich wirklich sammelwütig, die muß ich einfach haben.“ Mit zehn Platten pro Woche verläßt sie den Laden, und wenn's ganz, ganz schlecht kommt, sind es immer noch zwei. Nicht alle Platten werden als Werkzeug, zum Auflegen also, benutzt. Eine Menge Platten kauft sie auch nur, um etwa das Label oder den Produzenten zu unterstützen.

In einem kleinen Wiener Club, dem Trabant, begann sie ihr DJeusendasein mit Jazz. Der erste größere Act gelang ihr aus reiner Hochstapelei. Ein Clubbesitzer hat sie beim Plattenkaufen gesehen und ob ihres schrillen Äußeren für einen weiblichen DJ gehalten. Sie hat ihm nicht widersprochen. Die Premiere dieses Clubs war dann auch ihre als DJeuse. Ihr Auftritt war desaströs. Zusammen mit Dancefloor-Experten legte sie HipHop auf, obwohl Beatmusik gefragt war, und dies mit einem, wie sie sagt, unglaublich schlechten Stil, was heißt: einfach eine Platte nach der anderen.

In Wien war der Techno-Beginn an ihr vorübergegangen, der einzige, der sich in Wien auskannte, sei „immer beleidigt“ gewesen und ohne Informationen läßt es sich auch in der Techno-Welt schlecht leben. Irgendwann hat sie den DJ- Heroen „Hell“ kennengelernt und durch ihn die Techno-Family in Deutschland. Für Susanne war das eine Revolution, ein totaler Rausch, und mit einem Mal stand fest: Das ist es. DJ-Sein und nichts anderes.

Electric Indigo wurde ehrgeizig, und setzte alles daran, auf großen Partys aufzulegen. Sie brachte sich das Plattenmischen selbst bei, das Aus- und Überblenden, hat pitchen gelernt und weiß, wie eine Scheibe angehalten oder angeschubst werden muß, damit sich der Rhythmus, die Beats per Minute, der nächsten Platte in die vorherige einpaßt. Zur Arbeit der DJs gehört zuallererst die Zusammenstellung, die Festlegung der genauen Abfolge. Bei Electric Indigo läuft das weniger geplant als intuitiv ab: „Es zählen nicht nur die BpM, es ist manchmal die Idee des Stücks, das mir sagt, welches ich als nächstes auflegen muß, es ist ein Gefühl, eine Erinnerung, ein Fingerkribbeln“.

Um sich als DJeuse von der Masse abzuheben, muß man die Geschmacksnerven trainieren und informiert bleiben: Man muß wissen, was sich wie anhört, was zueinander paßt und wer welche Musik produziert. Obwohl Musik ihr Leben bestimmt, hört Electric Indigo ungern Musik als Hintergrund, als Klangtapete. Die Berliner Angewohnheit, Cafés mit Musik zu beschallen, findet sie ungehörig.

Electric Indigo ist eine der wenigen Frauen, die tatsächlich nicht nur „versuchen“, Musik aufzulegen – wie es professionelle DJeusen bei einer Aktion im Art-Acker ironisch nannten –, sondern die es einfach tun und auch gut davon leben können. Das ist heute immer noch nicht gerade weit verbreitet unter weiblichen DJs, obwohl – wie Electric Indigo sagt, die in verschiedenen Clubs arbeitet – ein weiblicher DJ im Programm schon fast zum Prestige eines Clubs gehört. Im Gegensatz zu den „wichtigen“ Jungs, die, wenn sie einmal einen Hit produzierten, gleich das Doppelte und Dreifache an Geld abkassieren können, ist die Gruppe der DJeusen, die mehr als ihren Plattenkonsum mit Auflegen finanzieren können, immer noch sehr klein.