■ Politische Einflußnahme verboten
: Der Alibi-Exot

Der Kandidat für die Landesliste zur Bundestagswahl blickt etwa so freundlich wie Herbert Wehner an einem schlechten Tag; ein Parteioberer erklärt ihm, dem Eingebürgerten, gerade in beredter Sprache, warum es für alle überaus schädlich enden könne, wenn er, der Deutsche mit dem fremden Nahmen, zu früh auf einem zu guten Listenplatz in dieser Landesversammlung kandidierte: Die Zeit sei noch nicht reif, man sei ja noch jung, und die Zukunft werde bald in hellstem Licht erstrahlen – später! Natürlich habe die Partei überhaupt nichts gegen naturalisierte „Deutsche“, aber so ein Parteitag sei eine launische und komplizierte Veranstaltung, man müsse zuerst seine Delegiertenbasis erweitern und überhaupt ...

Diese Szene hat sich in den vergangenen Monaten so oder so ähnlich in jeder der demokratischen Parteien, die auch Aussichten auf den Einzug in den Bundestag haben, abgespielt. Das Ende vom Lied war, daß die Einsichtigeren sich nicht getrauten, für einen aussichtsreichen Platz zu kandidieren, und die Verwegenen, die sich doch trauten, mit ganz wenigen Ausnahmen mit blutigen Nasen abgeschmettert wurden. Dabei müßten alle Parteien eigentlich froh über das Engagement der Einwanderer sein. Einerseits herrscht durch die weitverbreitete Politikverdrossenheit unter den Deutschen an der Basis der Parteien meist die tote Hose: Weder mit guten Worten noch mit Veranstaltungen läßt sich der bequeme deutsche Michel hinter dem Ofen hervorlocken. Andererseits haben die Einwanderer meist jahrelang nach politischen Rechten gedürstet und stürzen sich gerne mit vollem Elan in die Parteiarbeit. Nach dem häufig unkomplizierten Parteieintritt schlägt jedoch für den dynamischen Neuling schnell die Stunde der Wahrheit: Er ist zwar als Stimmeneinsammler und als Alibi-Exot gut gelitten, sollte er aber einmal mit eigenen, der Parteilinie fremden Gedanken daherkommen oder gar, Gott, o Graus, innerhalb der Hierarchie nach oben und zu echtem Einfluß streben, ist es um die Toleranz der Parteifreunde sofort geschehen – den nunmehr „Ausländer“ trifft voll die Repression der Parteidisziplin.

Nur die Taubesten und Blindesten unter den dogmatischen Politikern negieren noch, daß dieses Land längst zum Einwanderungsstaat geworden ist. Also wird sowieso in nächster Zukunft der Zeitpunkt kommen, an dem die Einwanderer am politischen Meinungsbildungsprozeß beteiligt werden müssen. Warum nicht gleich? Die Einwanderer in die demokratischen Parteien effektiv und ehrlich einzubinden, hält sie von Verzweiflungstaten in extremistischen Gruppierungen fern und erschließt mittelfristig neue Wählerschichten. So gesehen liegen die Vorteile auf beiden Seiten: die klassische Definition eines guten Deals! Arif B. Ordu

Dr. med. Arif B. Ordu ist Vorsitzender der Liberalen Türkisch-Deutschen

Vereinigung (L.T.D.)