piwik no script img

Der Umweg über die Parteien

Wer die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besitzt, darf auch nicht wählen / Über die Mitgliedschaft in Parteien und parteinahen Verbänden versuchen deutsche Ausländer mitzureden  ■ Von Ozan Ceyhun

Rund sieben Millionen Menschen nichtdeutscher Abstammung leben zur Zeit in Deutschland. Manche von ihnen halten sich schon seit über 30 Jahren hier auf. Ihre Kinder und Enkelkinder sind zum größten Teil in Deutschland geboren, sie sind hier aufgewachsen und haben ihre Schul- und Berufsausbildung in der Bundesrepublik erhalten. Allgemein betrachtet gibt es zwischen diesen und den gleichaltrigen Einheimischen – sieht man von der äußeren Erscheinung ab – nur einen Unterschied: sie besitzen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Dieser Unterschied genügt, um ihnen bestimmte Grundrechte wie zum Beispiel das Wahlrecht zu versagen. Damit werden sie aus den politischen Entscheidungen ausgeschlossen.

Das Bemühen einiger Bundesländer, Ausländern, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wenigstens das kommunale Wahlrecht zu gewähren, scheiterte an einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Diesem Urteil gemäß bleibt das allgemeine Wahlrecht nur Deutschen vorbehalten. Es sei denn, man würde die Verfassung entsprechend ändern. Dafür findet sich jedoch bei den entscheidenden Gremien keine Mehrheit.

Die bisher erfundenen Zwischenlösungen – wie die Gründung von Ausländerbeiräten, die Ausländern lediglich eine beratende Funktion einräumen – sind unbefriedigend. Viele nichtdeutsche Bürgerinnen und Bürger betrachten sie als ein Alibi, das die bestehenden Konflikte schlichten und eine tatsächliche Lösung auf unbestimmte Zeit vertagen soll.

Ausländer, die sich mit der ungleichen Behandlung nicht abfinden und dennoch an politischen Entscheidungen mitwirken wollen, gehen daher einen Umweg über die Parteien. Wie bei den Gewerkschaften ist die deutsche Staatsbürgerschaft zur Mitgliedschaft bei den Parteien nicht nötig. Auch nichtdeutsche BürgerInnen könnten als Mitglieder von Parteien theoretisch bis in deren höchste Gremien aufsteigen.

Von dieser Möglichkeit machen Ausländer zunehmend Gebrauch. Die Reaktion der Parteien darauf ist unterschiedlich. Zwar gibt es inzwischen in allen etablierten Parteien Mitglieder nichtdeutscher Herkunft, ungleich sind jedoch die Aufstiegschancen. Wieweit sich eine Partei nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber öffnet, scheint von deren allgemeinen Positionen Einwanderern und Flüchtlingen gegenüber abhängig zu sein. Bei Bündnis 90/Die Grünen konnten bisher Mitglieder ausländischer Herkunft bis in die höchsten Parteigremien aufsteigen. Dasselbe gilt für die PDS. Die SPD gewährt ihren nichtdeutschen Mitgliedern zwar die Möglichkeit, in den Landesvorstand gewählt zu werden, doch die Mitgliedschaft im Bundesvorstand blieb bislang Deutschen vorbehalten. CDU, FDP wie auch die CSU haben sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene ihre Vorstände bisher rein deutsch erhalten.

Doch in letzter Zeit interessieren sich alle Parteien stärker für die Interessen der BürgerInnen ausländischer Herkunft. Denn die Maßnahmen zur Erleichterung der Einbürgerung sowie die Aussicht auf Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft werden immer mehr Ausländer zur Übernahme der deutschen Staatsbürgerschaft veranlassen. Das sind Millionen potentieller Wähler, um deren Gunst und Stimme die etablierten Parteien werben müssen.

Inzwischen hat sich auch herumgesprochen, daß die Annahme, Ausländer würden überwiegend links wählen, ein Irrtum ist. Auch sie sind politisch unterschiedlich orientiert. Allem Anschein nach würde im Falle der Gewährung des Wahlrechts ein beachtlicher Teil von Ausländern für konservative Parteien stimmen.

Diese Tatsachen deuten auf einen Prozeß, der vermutlich in naher Zukunft zu spürbarer Veränderung der politischen Landschaft in der Bundesrepublik führen wird. Vorerst sind jedoch die nichtdeutschen Mitglieder der Parteien mehr oder minder Einzelkämpfer. Sie werden immer noch von den eigenen Parteigliederungen ignoriert. Daher sind sie auf Hilfe von außen angewiesen.

Aus diesem Grund haben sich besonders bei BürgerInnen türkischer Herkunft zusätzliche Organisationen und Verbände von EinwanderInnen gebildet, die sich als „parteinahe“ Organisationen bezeichnen.

Die älteste und mitgliederstärkste unter diesen Organisationen ist die Föderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten e.V. (HDF). Diese Organisation versucht seit 1977 mit ihren ca. 7.000 Mitgliedern, von denen viele Mitglieder der SPD sind, die Interessen der türkischen Sozialdemokraten innerhalb der SPD durchzusetzen. Das sei gerade jetzt keine leichte Aufgabe, meint der Vorsitzende der HDF, Ahmet Iyidirli. Denn die bürgerkriegsähnliche Lage in der Türkei, die zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei geführt hat, bringt gerade die türkischen Mitglieder der SPD in die Zwickmühle. Sie müssen sich einerseits mit der Türkei- und Kurdenpolitik der Partei auseinandersetzen, andererseits werden sie von türkischen Medien und Politikern aufgefordert, die „Partei der Türkeigegner“ zu verlassen. Die meisten türkischen Mitglieder der SPD, die in der Partei besonders aktiv sind, Vorstandsämter wahrnehmen oder Abgeordnetenmandate ausüben, wie zum Beispiel Professor Hakki Keskin im Hamburger Abgeordnetenhaus, sind HDF-Mitglieder.

„Hürtürk“ (Freiheitlich Türkisch-Deutscher Freundschaftsverein e.V.) ist das Sammelbecken für konservative Türken, das nach eigenem Bekunden seit 1979 die türkische Zweigstelle der CDU bildet. Die gegenseitige Sympathie zwischen türkischen Migrantinnen und Migranten und der CDU ist im Wachsen begriffen. Für viele Türken betreiben SPD und Grüne zwar eine „gute“ Migrationspolitik, als „Feinde der Türkei“ seien sie aber nicht akzeptabel. Daher wenden sich viele an die CDU.

Zwischen diesen Fronten hat nun die LTD (Liberale Türkisch- Deutsche Vereinigung) eine günstige Lücke entdeckt. Seit 1993 versuchen die türkischen Liberalen unter der Führung des türkischen Arztes Dr. Arif Ordu, vor allem türkische Unternehmer und Akademiker für die FDP zu gewinnen. Die LTD wird von der FDP unterstützt, seitdem die FDP entdeckt hat, daß immer mehr EinwanderInnen aus der Türkei die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und als potentielle WählerInnen der Partei gewonnen werden könnten. Tatsächlich hat die LTD eine große Chance, viele Ex- HDF-Mitglieder sowie CDU- Sympathisanten für ihre Ziele zu engagieren.

Auch die türkischen Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen sind schon seit geraumer Zeit dabei, ähnlich wie bei der SPD, zur Durchsetzung ihrer Interessen eine der Partei zugehörige Organisation auf die Beine zu stellen. So wurde 1992 Yesiller gegründet, eine Vereinigung türkischer Mitglieder der Grünen, die jedoch aufgrund ihrer eigenen Position gegenüber der Türkei und Kurdistan innerhalb der Partei auf Schwierigkeiten stieß. Sie wurde von vielen Mitgliedern der Grünen als türkeifreundlich betrachtet und ignoriert. Damit konnte die Vereinigung, obwohl sie im Rahmen der Migrationspolitik für die Partei erfolgreiche Aktivitäten entwickelte, ihre Arbeit nicht fortsetzen.

An ihre Stelle trat im Dezember 1993 „ImmiGrün – Bündnis der neuen InländerInnen“. Debatten über die Türkeipolitik sind innerhalb des Verbandes tabu. Zur Zeit zählt „ImmiGrün“ etwa 70 Mitglieder. Es sind nicht nur Türken, sondern EinwanderInnen unterschiedlicher Herkunft, die als Mitglieder der Grünen in den Gemeinderäten, Stadtparlamenten oder Kreistagen neben den allgemeinen Zielsetzungen der Grünen auch spezifische Interessen der MigrantInnen durchzusetzen versuchen. Ein führendes Mitglied von „ImmiGrün“, Cem Özdemir, wird höchstwahrscheinlich ab Oktober als Abgeordneter dem deutschen Bundestag angehören. Diese exemplarische Wahl soll nach Ansicht von „ImmiGrün“ für die kommenden Wahlen Zeichen setzen.

„ImmiGrün“ könnte auch anderen Parteien als Vorbild dienen. Der Zusammenschluß national orientierter Mitglieder als parteinahe Organisationen scheint almählich historisch überholt zu sein. Vor allem die zweite und dritte Migrantengeneration, die in der bundesrepublikanischen Gesellschaft weit mehr integriert ist als ihre Eltern und Großeltern, läßt sich, ungeachtet ihrer nationalen Abstammung, weit mehr für die Belange der Bundesrepublik engagieren als für die Probleme der Heimat ihrer Vorfahren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen