Tolerante Benzinkocher

Eine ostdeutsche Raffinerie schickt 260 Azubis in sozialpädagogische Workshops / „Positiv denken“ heißt die neue „Schwedter Initiative“  ■ Von Christian Füller

Jörg macht jetzt öfter autogenes Training. Bis vor einem halben Jahr warnten seine Eltern den 19jährigen angehenden Energieelektroniker noch vor Psychologen. Nun läßt er unter deren Anleitung Arme und Beine schwer werden und kommt zu sich selbst, wenn im Ostdeutschen Rundfunk die „Gesundheitswerkstatt“ läuft. Wie kommt ein Auszubildender der „Petrolchemie und Kraftstoffe AG“ (PCK) Schwedt zu meditativer Selbsterfahrung? Aufgewachsen in einer tristen 50.000-Einwohnerstadt, die als braune Hochburg verschrien ist?

Jörg und 260 Lehrlingskollegen der gigantischen Raffinerie der PCK profitieren von einer neuen „Schwedter Initiative“. Früher, zu DDR-Zeiten, bedeutete das noch „Weniger produzieren mehr“. Die Schwedter Aktivisten zielten auf die realsozialistische Rationalisierung des Petrochemischen Kombinats. Heute lernen die Azubis der PCK in einem sozialpädagogischen Workshop, was „Positives Denken“ ist und wie man anderen, Fremden begegnet. Das von einem Öl-Konsortium aufgekaufte Kombinat hat seinen jungen Benzinkochern ein ungewöhnliches Lehrfach verschrieben: Toleranz.

„Nach Mölln und Solingen wollten wir einfach mehr machen, als Plakate zu kleben.“ Folkert Vechtmann, dem Leiter Personalwesen bei PCK, genügte die von Gewerkschaften und Arbeitgebern propagierte Kampagne „Wir sind dagegen!“ nicht. Er engagierte ein Psychologen-Ehepaar, das in dreitägigen Workshops den Vorurteilen von Ausbildern und Auszubildenden auf die Spur kommen sollte. Schwedt ist nicht der falsche Ort dafür: Dort regiert nicht nur die Tristesse flächendeckender Plattenbauten. Die 120 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegene Stadt ist ein Hort des Rechtsextremismus. Dreiviertel der Straftaten in Schwedt gehen auf das Konto einer etwa zweihundert Mann starken Neonaziszene. Die Azubis wissen, was gespielt wird. „In den Jugendclub ,HIT‘ gehen nur die Rechten.“ Und abends solle man sich lieber nicht an der BP- Tankstelle sehen lassen, lautet ihr Ratschlag.

Doch bange war ihnen dann ausgerechnet vor den Workshops. „Wir mußten den Jugendlichen die Ängste nehmen“, meint Christine Bleick. Die Ausbilderin kannte sich aus. Auch sie hatte mit ihren KollegInnen an den Selbsterfahrungskursen teilgenommen. Ihre Leute seien nach den Spielen und Entspannungsübungen optimistischer gewesen, sagt sie. Und Arnhild Foitzik hat KollegInnen, mit denen sie seit zwanzig Jahren im Petrochemischen Kombinat am Rande der Stadt zusammenarbeitet, „ganz neu kennengelernt“.

Die Jungs sind skeptischer, was die Wirkung der Seminare angeht. Sie seien zwar mit einem „neuen Lebensgefühl“ aus den Kursen herausgekommen, meinen Marten und Jörg, beide 19. Aber bei den Ausbildern „hat das schnell wieder nachgelassen“. Marco, der einzige Twen, bilanziert trotzig, er sei schon vorher tolerant gewesen. Dennoch: Marten meint, er trage seine Probleme jetzt nicht mehr nur mit sich rum, sondern spreche darüber. Und Jörg, dessen Eltern von der Teilnahme abgeraten hatten, legt sich vor den Fernseher, um beim autogenen Training des ORB mitzumachen. Das mache es leichter, mit Streß umzugehen.

Wie bearbeitet man Fremdenfeindlichkeit, umgeben von Raffinationsanlagen und großen Tanklagern? Gar nicht. Das Thema sei fallengelassen worden, berichtet das jugendliche Vorzeigetrio. Die Psychologen hätten keinen Rassismus bei ihnen entdeckt. „Zum Thema Rassismus kommt keine authentische Äußerung, wenn man es direkt anspricht“, sagt die Psychologin Sonja Oswald. Deswegen habe die Seminarleiterin das Problem indirekt thematisiert.

Werte für Unentschiedene

Den harten Kern der Gewaltbereiten erreiche man durch ein dreitägiges Seminar sowieso nicht. Ihr Ziel seien die Unentschiedenen gewesen. Die „schweigende Masse“ müsse man stark machen. Sie solle aus einem positiven Lebensgefühl heraus „eine Lebenshaltung, Werte annehmen“.

Die Landeszentrale für Politische Bildung und das Bildungsministerium in Brandenburg haben die neue „Schwedter Initiative“ unterstützt. Ein Drittel der Kosten von insgesamt 14 Workshops haben sie übernommen. Die Aktiengesellschaft in Öl mußte gleichwohl tief in die Tasche greifen: 400.000 Mark kosteten die Kurse fürs tolerante Klima. Trotzdem wollen die Initiatoren weitermachen. Auch die neuen Lehrlinge sollen sozialpädagogische Lehrstunden erhalten. Und im Ausbildungstrakt der Raffinerie bekommen Jörg und andere einen Ruheraum: fürs „autogene Training“.