Kunst, Kommerz etc.
: Ein Tigersprung

■ documenta-Leiterin Cathérine David gab ihren Einstand in Kassel

Menschen, über die man wenig weiß, brauchen nicht viel zu erklären. Cathérine David, seit dem 1. Juli offiziell künstlerische Leiterin der documenta X, kam unvorbereitet ins Kasseler Fridericianum und redete: von den Schwierigkeiten, über ein Konzept für die größte europäische Kunstschau zu sprechen, die in drei Jahren stattfinden soll. Denn es gibt keines, außer dem einen, „Instrumente zu entwickeln, um einen alltäglichen Kampf für die Kunst zu führen“. Ihren fehlenden Ansatz hatte man schon als Folge politischer Korrektheit feministisch gedeutet. David gab zurück: „Ich bin eine Frau von vierzig Jahren, und ich habe nicht die Absicht, mein Geschlecht zu ändern, auch nicht für die documenta.“ Es waren vor allem ältere Damen im Publikum, die applaudierten, als sie eine kurze Genealogie zusammenstellte: Rosa Luxemburg, Ingeborg Bachmann, Pina Bausch und ein vorsichtiges Ich. Erinnerungen an große Geschichten angesichts einer Gender-Debatte, in der Weiblichkeit als Rolle eher vom Rande des Subjekts her gedacht wird.

Nach dem Nichts

Anders als Jan Hoet, dem Impresario einer zeitgenössischen Kunst, bei dem diffuse Zeichentheorien, Sex und sehr viel Körper den rechten Rahmen für markige Statements und Objekte zur letzten documenta hergaben, nutzt die französische Kunsthistorikerin jene Verunsicherung, mit der der Belgier hausieren gegangen war. Nach ihm kommt nichts mehr, so das durchgehende Resümee der Kritik damals. Wie aber dieses Nichts denken? Bescheiden spricht David von noch unklar definierten Methoden, die auf Verschiebungen reagieren sollen, die sich aus der geänderten Kartografie unseres Lebens ergeben haben. Ländernamen nennt sie aber noch nicht, denn ihnen müßte sie die von KünstlerInnen folgen lassen. Statt einem forschenden Blick auf die eigenen Spuren, den Harald Szeemann 1972 zum Leitmotiv seiner documenta erklärt hatte, fordert David mehr Aufmerksamkeit für die Produktionsbedingungen, unter denen Kunst entsteht: „Dem Neokolonialismus geht es gut!“ Trotzdem bleibt ihre Handhabe als documenta-Chefin von diesem eben auch innereuropäischen Konflikt scheinbar unberührt: „Der Osten hat nicht auf mich gewartet, um zu existieren“, so die Antwort auf bohrende Spiegel- Fragen. Als therapeutisches Mittel sei das Museum der hundert Tage noch nie tauglich gewesen.

Zumindest der Patient steht fest. Öffentlichkeit und das Private, Zentrum und Peripherie, das alles müsse moderne Kunst neu bedenken: „Es gibt ×uvres, Risiko und Scheitern.“ Besser als ein modischer Diskurs der Nostalgie von der Legitimationskrise sei die Leere allemal, und Kunst müsse wieder lernen, „den undefinierbaren Raum zu schaffen“. Das Publikum schweigt still und wartet. Doch das einzige Beispiel, auf das sich Cathérine David an diesem Abend, einem Donnerstag mitten in der Wüste zwischen den documentas, einlassen will, ist der Film „D'Est“ von Chantal Akerman, den die Französin mitgebracht hat, „weil mein Diakoffer nicht dabei ist“. Die Fernsehproduktion, die nie im französischen Fernsehen gezeigt wurde, handelt von einer Reise in den ehemaligen Ostblock, bei der sich der Zusammenbruch des sozialistischen Systems langsam in historischen Bildern von den Stätten des Holocaust auflöst: „D'Est erklärt nicht, sondern schafft ein Werk aus Bildern über die Undurchdringlichkeit von Fakten, die sehr intim sind als Zeugnis.“ Der ausgewählte Film sei nicht das Resümee, aber die Haltung, mit der sie Bilder sieht und empfindet — als etwas, das sich anhand der Strukturen entwickelt, die jeder Wahrnehmung vorausgehen. Kunstbetrachtung als Konstrukt aus Geschichte, Wirtschaft, Politik: Wo Jan Hoets entfesselter Medienjahrmarkt samt Schauboxkämpfen und billigem Merchandising in seiner Affirmation der womöglich realen Verhältnisse noch als Zynismus gescholten wurde, setzt David wieder auf Subjektivität. Eigentlich. Keine Messe, kein Ort der Information, sondern ein Laboratorium zur Orientierung, erklärt die Fachfrau bestimmt, während Kölner Galeristen bereits unruhig mit den Füßen scharren.

Nach dem Markt

Den Markt lehnt sie als Stimmungsbarometer ab, weil damit nur eine Facette des ursprünglichen Begriffs von commerce berührt wird. Mit einem Gilles- Deleuze-Zitat geht die Reise aus den Krisengebieten plötzlich zurück ins 18. Jahrhundert, als Handeln noch eine andere Bedeutung hatte: „Es gibt ein Handeln mit Kunst, aber keine kommerzielle Kunst.“ An anderer Stelle hatte Deleuze zwar die Amerikanisierung kultureller Verhältnisse propagiert, doch David liest den Philosophen poetisch: Im Tigersprung über die Moderne hinweg, dafür mit Esprit. Der Marchand Marcel Duchamp ist für sie mißverstanden worden, lediglich eine falsche Auslegung durch die Kritik, der Austausch und Analyse nurmehr als beliebiges Auswechseln von Informationen gelten. Kommunikation, die sich nicht auf „alle Möglichkeiten von Aussagen in der ersten Person Singular“ beschränkt, ist nichts anderes als Industrie. Noch aber ist die Urteilskraft nicht aufgehoben, noch gibt es „die Methode des Fernen, alles zu sein und nicht autoritär. Aber voller Einbildungskraft.“ Einmal noch funkelten die beinahe schreckhaft aufgerissenen Augen von Cathérine David durch die geschlossenen Reihen schweigsamer Gäste. Keine weiteren Fragen. Das „documenta preface“ war mehr eine Performance geworden. Fast wie bei Hoet, nur irgendwie gefaßter. Draußen vor dem Fridericianum standen fünf bunte Twingos unter weißen Baldachinen. Roman Soukup, Geschäftsführer der documenta GmbH, bedankte sich bei allen Sponsoren. Kassel war angewärmt. Harald Fricke