Spiel ohne Grenzen

■ Gestern ging in Polen das erste Nato-Manöver mit osteuropäischer Beteiligung zu Ende: Die militärische Bedeutung war klein, der Unterhaltungswert groß

Biedrusko (taz) – Wenn der polnische Major nicht so entspannt in seinem Klappstuhl hängen würde, könnte man sich mit etwas Phantasie vorstellen, daß die jungen Burschen, die etwas gelangweilt von der Böschung herunterkrabbeln, tatsächlich Flüchtlinge seien, die von einem Trupp deutscher Soldaten in Sicherheit gebracht werden sollen. Doch den Soldaten ist am vierten Manövertag offenbar Motivation oder Phantasie abhanden gekommen, und so absolvieren sie das Ganze mit einer gewissen Lässigkeit, die dem polnischen Manöverbeobachter gelegentlich ein mitfühlendes Grinsen entlockt. „Am schnellsten waren die Amerikaner“, erzählt der Major, der selbst schon mehrere UN-Missionen hinter sich hat, „die haben die Übung durchgezogen, als ginge es um ein Kommandounternehmen und nicht um das Eskortieren von Flüchtlingen.“ Die Deutschen proben dagegen offenbar eine verschärfte Version des Asylkompromisses: Sie stellen ein Maschinengewehr so auf, als wollten sie die Flüchtlinge hinrichten.

„Natürlich ist das Ganze eher eine Art politisches Happening und der militärische Wert der Übung relativ gering“, gibt ein holländischer Offizier zu, „aber die Soldaten haben eine Menge Spaß und lernen sich dabei auch besser kennen.“ Die Übungen des ersten „Partnership-for-Peace-Manövers“ werden in nationalen Zügen durchgeführt, die Kompanien dagegen sind bunt gemischt. Insgesamt nehmen 650 Soldaten aus dreizehn Ländern daran teil, die sich alle mehr oder weniger fließend in Englisch verständigen. Und hierbei schneiden – zumindest nach Ansicht der organisierenden Polen – die Niederländer am besten, die Deutschen und Italiener am schlechtesten ab.

Doch darauf kommt es gar nicht so sehr an. Wichtig ist vor allem die Symbolik des Ganzen: „Zum ersten Mal nach dem Krieg stehen hier deutsche Soldaten in voller Bewaffnung und üben zusammen mit Polen,“ meint ein polnischer Offizier, „und das in Biedrusko, wo während des Krieges mehrere Dörfer ,pazifiziert‘ wurden.“ „Ein neues Kapitel in der Geschichte“ hat das Verteidigungsminister Volker Rühe genannt, und sein polnischer Kollege Piotr Kolodziejczyk, selbst ein altgedienter Admiral, stellte ihn als vorbildlichen Politiker hin, „der im Gegensatz zu anderen tut, was er sagt.“ Eine Spitze gegen amerikanische Politiker, die weniger deutlich reden und handeln, wenn es um Polens künftigen Nato-Beitritt geht. Daher auch das enorme Interesse polnischer Politiker und Journalisten an den militärisch gesehen mehr als unbedeutenden Manövern.

„An den ersten Tagen haben wir hier 300 Journalisten durch die Landschaft gekarrt, auf zwei Soldaten kommt ein Journalist“, stöhnt ein amerikanischer Offizier, und wie fast alle seine Kollegen tut er das auf polnisch. Die Army hat gezielt polnischsprachige Reservisten und Offiziere nach Biedrusko geschickt und damit öffentlichkeitswirksam politischen Boden gutgemacht. In der Landgemeinde Biedrusko werden sie von Kindern und Jugendlichen umlagert, die ihnen Autogramme abjagen oder Army-Kugelschreiber gegen polnische Süßigkeiten eintauschen.

Fast vergessen worden wäre in dem ganzen Trubel, daß ein Land, das „Partnership for Peace“ auch beigetreten ist, nicht in Biedrusko dabei ist: Rußland. Offiziell heißt es, der Manövertermin sei vor dem russischen Beitritt festgelegt worden, und inoffiziell wird das gleich wieder dementiert. Weder polnischen Politikern noch US-Militärs oder dem zur Eröffnung anwesenden russischen Botschafter war dazu ein Wort zu entlocken. Nur polnische Soldaten sind da manchmal etwas offener: „Mir haben sie nicht gefehlt“, bekennt einer freimütig, auf die Abwesenheit russischer Soldaten angesprochen.

Ein Feind ist bei dem Manöver offiziell nicht vorgesehen. Die Übungen sollen auf UN-Missionen vorbereiten und statt Panzervorstößen oder Häuserkämpfen werden nun so untypische Vorgänge wie das „Eskortieren eines VIP in Bosnien“ oder eben die Hilfeleistung für Kriegsflüchtlinge geübt. Nur um die logistische Manöverzentrale – ein turmhohes olivgrünes Gebilde – wird ein bißchen Krieg gespielt. Man versucht sich im Absichern von Helikopterlandungen. Die italienische Einheit, die gerade am Zuge ist, scheint vergessen zu haben, daß das Ganze nur geübt wird. Mit angespannten Gesichtern springen die Soldaten aus dem Hubschrauber und verschwinden geduckt im Unterholz. Den Ernst erklärt ihr Kommandeur: „Wissen Sie, das ist ein bißchen komisch. Unsere Leute haben das schon in der Praxis gemacht, in Somalia, und jetzt kriegen sie sozusagen die Theorie geliefert.“ Als der Helikopter mit ohrenbetäubendem Lärm wieder abdreht, haben plötzlich alle einen Photoapparat in der Hand. „Oh“, ruft ein US-Presseoffizier erfreut, „Sie haben uns aus der Kabine heraus im gleichen Moment photographiert wie wir sie.“

Die Posener ertragen das babylonische Sprachgewirr, das abends über ihre Altstadt hereinbricht, mit Gelassenheit. Auch die Tatsache, daß die deutschen Soldaten in Olivgrün mit deutlich sichtbarem Schwarzrotgold an den Schultern die Altstadtkneipen besetzen und schüchtern versuchen, mit jungen Polinnen anzubändeln, scheint niemanden zu stören. Gegen die US- Boys mit ihrem atemberaubenden polnischen Akzent haben sie freilich keine Chance. Klaus Bachmann