Hochzeit und Schüsse am Nachmittag

Seit Monaten machen vom Asylgesetz in die Illegalität getriebene Rumänen ein Asylbewerberheim bei Potsdam unsicher. Am letzten Wochenende eskalierte der Konflikt, und ein Angolaner wurde getötet.  ■ Von Jan Lerch

Potsdam (taz) – Seit den Mittagsstunden feiert die Hochzeitsgesellschaft bei afrikanischer Musik und heimischem Essen, Bier und noch mehr gazosa (Sprudel). Es tanzen Zairer und Angolanerinnen und der Bräutigam aus Ghana mit seiner Frischvermählten aus Babelsberg. Deutsch-afrikanische Hochzeit in einem Asylbewerberheim. 25 Leute feiern das Fest der Liebe unter freiem Himmel, zwischen metallenen Wohncontainern.

Die Stimmung ist gut, bis das Fest gegen 19 Uhr jäh unterbrochen wird: Sechs Rumänen tauchen auf. Sie sind illegal hier und wie so oft über den Metallzaun des Heims geklettert.Sie wollen Bier, sie wollen provozieren. Ihr erstes Opfer wird einer der Deutschen, Schimpfworte fallen auf beiden Seiten, erste Rangeleien. Die Rumänen sind mit Messern bewaffnet, einer sogar mit einer Pistole. Bei der Schlägerei werden mehrere Afrikaner verletzt, einer so schwer, daß er erst vier Tage später aus dem Krankenhaus entlassen wird. Pierre (Name geändert) aus Benin verliert durch den Schlag auf den Kopf sein Bewußtsein, für drei Minuten, wie er sagt, drei Minuten, in denen ein anderer sein ganzes Leben verliert.

Die Rumänen haben es auf die deutsche Braut abgesehen, zerren sie aus dem Pulk heraus, der Bewaffnete feuert einmal in die Luft, einige verschanzen sich, nur einer läßt sich nicht abschrecken: der 36jährige Angolaner Fernandes Garcia. Er stürzt hinter den Rumänen her und wirft sich schützend auf die Deutsche. Mit zwei gezielten Kopfschüssen aus nächster Distanz streckt ihn der 24jährige Rumäne Constantin Zamfir nieder. Als die Polizei eintrifft und die Auseinandersetzungen mit sechzig Mann beendet, ist der Todesschütze mit einem Landsmann längst geflohen.

Im März war er wegen schweren Raubes aus Deutschland abgeschoben worden. Daß er in Sago wieder auftauchte, ist kein Zufall, sondern eher die Regel. „Jede Nacht, oft im Morgengrauen, klettern sie über den Zaun, die illegalen Rumänen“, beschwert sich Garcias Freund Alberto, Vater von sieben Kindern. Der Wachmann fragt pflichtschuldig nach: „Wo sind die Täter den rübergekommen?“ Die Antwort wartet er jedoch gar nicht ab, er kennt sie längst, „wieder hinter Haus 6 und Haus 7?“ Alle in Sago kennen die unübersichtlichen Stellen auf dem riesigen Areal. „Meine Familie und ich, wir brauchen mehr Sicherheit“, fleht der 41jährige Alberto und nimmt den Wachmann sogar noch in Schutz: „Der kann doch gar nichts machen, wenn er hier nachts alleine ist.“ Die Kritik der Afrikaner richtet sich nicht gegen die private Wachschutzfirma, sondern gegen die Polizei. „Beinahe täglich sind die hier“, weiß der 24jährige Antonio, „die nehmen auch mal welche fest von den Illegalen, aber zwei Tage später tauchen sie wieder auf.“

Polizeioberrat Udo Becker kann da nur mit den Achseln zucken. Auch er weiß, daß es seit Monaten regelmäßig zu Konflikten durch die Illegalen kommt. Aber schließlich habe die Potsdamer Polizei bei zwei Razzien und zehn größeren Kontrollen in diesem Jahr 15 illegale Rumänen festgenommen. Die Wachschutzfirma – so die Polizei – solle mehr tun. Die brandenburgische Ausländerbeauftragte Almuth Berger fragt sich schon lange, warum Polizei und Wachschutz den Konfliktherd Sago nicht in den Griff bekommen. Einig sich aber alle Verantwortlichen, daß Sago kein Ghetto werden dürfe.

Hundert Mark für eine scharfe Waffe

Als ob es das nicht schon wäre! Sago liegt mitten im Wald, zwischen Potsdam und Michendorf. Und völlig alleine. Es ist ein idealer Ort für dunkle Geschäfte. Die Illegalen hausen paar hundert Meter weiter, in einem alten Bunker und anderen Verstecken im Wald. Im Heim finden sie manchmal bei Verwandten Unterschlupf.

Wie nervös die Rumänen in den Wäldern sind, zeigt ein Vorfall aus dem Juli. Richard, Albertos 13jähriger Sohn, war mit einem Freund beim Spielen in die Nähe eines Versteckes für Diebesgut geraten. Die Rumänen erwischten die beiden und schlugen sie zusammen. Drei Tage war Richard im Krankenhaus, noch heute sieht man die Narbe von einem Pistolenknauf an seinem Kopf. Der Junge hat bei seinen Streifzügen nicht nur normales Diebesgut gesehen, sondern auch Pistolen, Messer und Schlagwerkzeuge. Antonio ergänzt: „Es gibt auch hier im Heim einen Schwarzmarkt für Waffen – und die Polizei weiß davon.“ Manchmal gingen Rumänen von Tür zu Tür und böten Pistolen an: „Damit du dich gegen Skinheads verteidigen kannst“, sagen sie. Hundert Mark koste eine scharfe Waffe.

Am Mittwoch, vier Tage nach den Schüssen, mußten alle Rumänen das Asylbewerberheim Sago verlassen. Sie sind sauer, fühlen sich zu Sündenböcken abgestempelt. Marianna, eine der wenigen, die deutsch kann, findet nur zynische Worte für den toten Angolaner. „Der hat eben zu langsam gezogen, deshalb ist er jetzt tot und nicht der Rumäne.“ Ihr Mann stößt sie in die Seite, jetzt bedauert sie den Tod. Es sei ungerecht, daß sie ihre Freunde und Familie in Berlin und Potsdam zurücklassen müßten. „Guck doch“, deutet sie auf die Stapel Umzugsgut, auf denen Generationen vom Kleinkind bis zum alten Opa kauern, „ist das Diebesgut? Das sind alles alte Sachen, die die Deutschen weggeschmissen haben.“ Mit den Illegalen in den Wäldern hätten sie nichts zu tun, sie baut sogar eine ethnische Grenze auf: „Hier, das sind alles Roma, die Illegalen, das sind Rumänen.“

Das Verhältnis zwischen Afrikanern und Rumänen war schon vor den tödlichen Schüssen angespannt. Darum sind die Schwarzen froh, daß die Rumänen nun verlegt worden sind. Der Auszug am Mittwoch verlief äußerst ruhig, vierzig Polizisten mit Hunden sorgten dafür. Nun ist es erst einmal ruhig in Sago. Doch verändert hat sich etwas im Leben der 400 Heimbewohner. Nicole, die neunjährige Tochter Albertos, zieht den fremden Besuchern schon nach wenigen Minuten des Kennenlernens am Arm. „Komm, ich muß dir was zeigen.“ Nach hundert Metern sind wir am Ziel, mitten zwischen zwei Metallcontainern steht ein kleines Holzkreuz mit dem Namen und dem Foto von Fernandes Garcia, die Blutlache ist notdürftig mit Sand abgestreut. Blumen, zwei Spielzeughasen und eine Untertasse mit ein paar Münzen umkränzen das Kreuz. Auch Nicole wollte in ihrer Hilflosigkeit etwas geben für den Freund, der nicht mehr da ist: Auf der Untertasse liegt ein kleiner Ring von ihr.