Kaputte Chromosomen, strahlende Milch

■ Wissenschaft und Bürger-Inis für sofortige Stillegung des Kernkraftwerks Krümmel

Der Streit um das Kernkraftwerk Krümmel bei Geesthacht tobt weiter: Erst vergangene Woche lieferte die Studie des Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) neue Munition für die AKW-GegnerInnen. Die Untersuchung von Professor Eberhard Greiser hatte festgestellt, daß um dieses Kernkraftwerk herum ein um bis zu 175 Prozent erhöhtes Risiko besteht, an Leukämie zu erkranken. Am Wochenende trafen sich nun in Marschacht, einem Dörfchen in der Nähe des Reaktors, BürgerInnen-Inis und WissenschaftlerInnen zum Thema „Krank durch Atomanlagen“, veranstaltet wurde das Seminar von den „Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg“ (IPPNW), der „Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch“ sowie den „Eltern für unbelastete Nahrung“ (EfuN). (Zu den Detail-Analysen siehe Seite 6.)

Zum Abschluß forderten alle 170 TeilnehmerInnen, darunter auch der Landesverband Niedersachsen des BUND und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), die sofortige Stillegung des Reaktors in Geesthacht. Denn die wissenschaftlichen Indizien deuteten darauf hin, daß das Kernkraftwerk tatsächlich Krebs verursache. So kam der Mediziner Hayo Dieckmann nach einer nochmaligen, eigenen Analyse der Daten aus der Greiser-Studie zu dem Schluß, daß die Häufigkeit der strahlentypischen Leukämien mit wachsender Nähe zum Kraftwerk deutlich zunehmen.

Obwohl in der Vergangenheit schon etliche Studien immer wieder den statistischen Zusammenhang zwischen Kernkraft und Krebs belegten, ist es grundsätzlich schwierig, den strengen wissenschaftlichen Nachweis für einen ursächlichen Zusammenhang zu erbringen. Dieses Fehlen aber bemängeln AKW-BetreiberInnen und AKW-Lobby immer wieder.

Doch dafür müßte man Menschen im Labor absichtlich radioaktiver Strahlung aussetzen und abwarten, ob sie an Krebs erkranken. Nicht ohne Zynismus bemerkte Roland Scholz, Professor an der Universität München: „Hiroshima war solch ein Experiment“.

Eine Blut-Untersuchung, die einen kausalen Zusammenhang eher hätte nachweisen können, wurde vom mittlerweile aufgelösten Berliner Besundesgesundheitsamt (BGA) „grob fehlausgewertet“, so die VeranstalterInnen. Während das BGA in den Blutproben keine Chromosomen-Defekte aufgrund der experimentellen Bestrahlung feststellen konnte, kamen zwei unabhängige Labors, das eine von der Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake, das andere von der Universität Münster, zu dem Ergebnis, das sich die Chromosomen sehr wohl verändert hatten.

Wegen des fehlenden Kausal-Nachweises sehen sich Schleswig-Holsteins Energieminister Claus Möller und Umweltministerin Edda Müller immer noch nicht imstande, den Krümmeler Reaktor endgültig stillzulegen. Möller jedenfalls möchte noch ein weiteres Gutachten des Öko-Instituts Darmstadt abwarten. Doch weil auch diesem sehr wahrscheinlich der ursächliche Nachweis fehlen wird, werden die Kühe in Krümmel womöglich weiterhin ab und zu strahlende Milch produzieren, Milch, die vielleicht in ganz Norddeutschland getrunken wird. Annette Bolz