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Tout Berlin

König ohne Hof: Versace-Happening in Berlin erfüllt ein altes Menschheitsbedürfnis  ■ Von Nicolaus Sombart

Der König rief, und alle kamen. Wer rief? Gianni Versace, ein genialer italienischer Modeschöpfer von Weltruf, mit Milliardenumsatz. Wer kam? Das Berliner Volk.

Die gesellschaftliche Rolle der großen Modeschöpfer hat sich in hundert Jahren gewaltig verändert. Zuerst waren sie noch so etwas wie Hoflieferanten, dann stiegen sie auf in die Spitze der Gesellschaft, in einer Weise, die für die Rolle der Grands Couturiers und die Gesellschaft gleichermaßen signifikant ist.

Sie schaffen mit ihrer Kunst und der handwerklichen Kunstfertigkeit ihrer Ateliers den oberen Zehntausend die Möglichkeit, ihre Macht und ihren Reichtum in den Toiletten ihrer Frauen zur Darstellung zu bringen, sich als das darzustellen, was sie sind, die Spitze der Gesellschaft.

Der berühmte Woorth, der erste Modeschöpfer – vielleicht –, dessen Rang als schöpferischer Künstler anerkannt wurde, hatte noch größte Schwierigkeiten, eine gesellschaftliche Position zu erringen. Er wurde zu den Festen, auf denen seine Kleider getragen wurden, nicht eingeladen. Poiré, nach dem Ersten Weltkrieg, von dessen Inventionen die Mode auch heute noch lebt, hatte da bereits beträchtliches Terrain gewonnen. Er konnte Fuß fassen im Tout Paris und ging zu den Bällen, die er mitgestaltete. Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich mit Path, Dior und Chanel die Situation weiter, sie gehörten zur Gesellschaft, und wenn ein Rothschild nicht mitspielte, in dem er sagte, je ne reçoie pas mes fournisseurs, so hinderte das niemanden, zur ihren Diners und Festen zu gehen. Mode-Défilés waren gesellschaftliche Ereignisse, wie die letzten großen Bälle.

Heute ist die Lage ganz anders. Zwischen Jet-set, Café-Society, Schickeria und dem Adel, zwischen New York, Monaco, Mailand, Paris und London stehen die großen Modemacher in ihrem Rang unbestritten an der Spitze der sozialen Hierarchie und setzen mit ihren Veranstaltungen die wichtigsten gesellschaftlichen Akzente. In der völlig veränderten Landschaft der industriellen Massen- und Mediengesellschaft agieren sie so als die Statthalter einer Hochkultur, die ihre alte soziologische Basis zwar verloren hat, deren schöpferisches Potential aber längst nicht erschöpft ist.

Allen Nivellierungstendenzen und Zwängen zum Trotz halten sie in der Öffentlichkeit das Ideal von höchster Qualität, Schönheit, Eleganz und Luxus lebendig, das in Gefahr steht, in Vergessenheit zu geraten. Indem sie ihn besetzen, markieren sie den Ort, der ganz oben ist, die Spitze der Pyramide. Damit erfüllen sie, welches auch ihre persönliche oder ökonomische Interessenlage sei, in einer Gesellschaft im Wandel eine objektive Funktion. Eigentlich tun sie es für andere, stellvertretend – da aber noch nicht genau feststeht, wer diese anderen sind – die legitimen Okkupanten der Spitzenregion – kann momentan der Eindruck entstehen, sie stünden dort allein.

Die Situation ist paradox. Sie sind Könige an einem Hof, den es nicht mehr und noch nicht wieder gibt.

Ihre Veranstaltungen – Ausstellungen, Mode-Défilés, Feste – sind keine gesellschaftlichen Ereignisse im traditionellen Sinne, sondern die Simulation gesellschaftlicher Ereignisse einer Zukunftsgesellschaft. Daß sie zu Medienspektakeln geraten, gehört zur Natur der Sache. Was könnten sie anders sein?

Mit ihren Models zeigen sie der Welt das Outfit einer idealen, vollkommen imaginären Oberschicht. Sie tun es – mit immensen Kosten – für ein Publikum, das an seinen Fernsehschirmen nicht vergessen soll, daß es so etwas gibt. Damit erfüllen sie ein fundamentales Menschheitsbedürfnis. Die Menschen brauchen, um ihren Alltag zu ertragen, den Ausblick auf eine exklusive Lebenssphäre, in der das alles zu haben ist, was sie nicht haben, von dem sie aber träumen können, daß sie es hätten. Die Modekönige erfüllen ihnen diesen Traum.

Wie das ökonomisch verrechnet wird, weiß niemand genau, es ist mit ökonomischen Kategorien nicht zu fassen. Aber die kapitalistische Gesellschaftsordnung ist hier dem Gesellschaftsmodell des real existierenden Sozialismus voraus, das auch deswegen gescheitert ist, weil es den Menschen diese Perspektive auf die Spitze genommen hat. Arbeit, Armut und Austerität ist kultur- und menschenfeindlich.

Nun hat Berlin das Fest eines Modekönigs erleben dürfen. Berlin ist sicher der ungeeignetste Ort für eine Demonstration von Luxus, Raffinement und Eleganz. Berlin ist mit weitem Abstand die uneleganteste Großstadt der westlichen Welt. Vielleicht hat Versace Berlin wegen der Kontrastwirkung gewählt. Vielleicht wollte er zeigen, was Berlin, wie keiner anderen der europäischen (und deutschen) Metropolen, fehlt, wozu es werden muß, um seinen verklemmten Hauptstadtanspruch einzulösen: eine Stadt, die sich aus der kleinbürgerlichen Misere erhebt, und eine autochthone Oberschicht produziert, die auch ihren repräsentativen Verpflichtungen gerecht wird. Die Vorgaben der Subkulturen von Kreuzberg und Prenzlauer Berg sind total ungeeignet, um diesen Prozeß zu inaugurieren. Es ist sehr zu befürchten, daß die soziologische Substanz, deren es dazu bedarf, schon zerstört ist. Man kann eine Oberschicht nicht einfliegen wie ein Buffet von „Käfer“. Sie würde wirken wie das Toupet auf dem Schädel eines Glatzköpfigen.

Wie hoffnungslos die Lage ist, zeigte der Versuch für die beiden großen Veranstaltungen – die Eröffnung einer Ausstellung von Präziosen, die wie eine Rekonstitution der Schatzhöhlen von Ali Baba wirkte und eine nocturne Festlichkeit in einem Techno-Schuppen, der für die Gelegenheit phantastisch dekoriert war – zweitausend Leute einzuladen, die in einer Stadt ohne Gesellschaft die soziale Zielgruppe wären, um das Signal zu verstehen, das da gesetzt wurde. Das Geheimnis der Gästelisten wurde von den Vertretern der PR- Büros, die mit dieser zugegebenermaßen schier unlösbaren Aufgabe betraut waren, streng gewahrt. Man bekam nur die für Fotografen und Fernsehkameraleute vorbereitete Liste der medienwirksamen „Prominenz“ in die Hand, auf der Romy Haag und eine Erbprinzessin zu Schaumburg-Lippe in holder Eintracht demonstrierten, wie disparat die Reserven sind, aus denen sich die Komparserie für ein solches Fest rekrutiert. Wer aufmerksam prüfte, wer aus unerfindlichen Gründen da war, und wer nicht da war, der eigentlich hätte dabeisein müssen, mußte sich eingestehen, daß die Auswahlkriterien total willkürlich sein mußten. Die Listen hätten besser sein können. Wenn sie aber darauf angelegt waren, zu beweisen, daß es in Berlin nur eine „gemischte Gesellschaft“ gibt, haben sie ihren Zweck erfüllt. Daran hätten auch die nichts geändert, die der Einladung nicht gefolgt sind, weil sie sich für eine Statistenrolle zu gut waren. So hat der König, und auch das gehört zu seinen Aufgaben, ein Spektakel für das Volk gegeben. Wir können ihm dankbar sein.

Der Modekönig Versace hat für Berlin ein Zeichen gesetzt, welches auch immer seine Motive und Kalküle waren. Es ist jetzt Sache der Berliner, sich bei ihren Hauptstadtträumereien über seinen tieferen Sinn Gedanken zu machen.

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