Marquis de Suede

■ "Gianni Versace: Signature" - Die ästhetische Gegenreformation im Kunstgewerbemuseum Berlin

Das Kunstgewerbemuseum in Berlin zeigt Mut. Zum zweiten Mal in seiner 125jährigen Geschichte eine Modeausstellung. Mit ihr eröffnet die Direktorin Barbara Mundt den neuen Eingangsbau, der die Museen des Kunstforums verbinden soll – ausgerechnet mit Gianni Versace.

In dieser Stadt, wo im Moment die fatale Formel von der Neuen Einfachheit gleich blockweise in Beton gegossen und in puristische Fassaden eingekleidet wird, präsentiert das Kunstgewerbemuseum eine Mode, deren Ästhetik zur neuen preußischen Bescheidenheit paßt wie die Faust aufs Auge. Ein Unfall also: Rund hundertfünfzig Versace-Modelle, hoch theatralisch, barock, manieriert, eklektizistisch; luxuriös, pompös, auch überfrachtet; sündhaft teuer, voller prächtiger Farben und prunkvoll selbst noch als schlichtes Schwarzes.

Aber das Pathos dieser Mode ist südlich, also milde. Ihr fehlt jede Machtallüre. Die Komplexität der Entwürfe kommt spielerisch daher; sie verbindet Exzentrik mit Eleganz, wo heutzutage doch beides, das letztere mehr noch als das erstere, verpönt ist. Kein Unfall also, sondern ein ästhetisches Konzept. Und dieses muß eine Kränkung für die zeitgenössische Architektur sein. Es zeichnet eine Mode aus, die technisch avanciert ist, weil Versace das verwendete Material, sei es Stoff, Leder oder Metall, mit Hilfe von Laser- und Computertechnik experimentell be- und verarbeitet. Deswegen überzeugt diese Mode auch in funktionaler Hinsicht – soweit sie es überhaupt soll und muß. Denn die berühmte zweite Haut sind Kleid und Haus ohnehin. Selbstverständlich also, daß Kreativität hier ebenso von der Funktion wie vom Material lebt. Der Clou ist das aber keineswegs. Modemacher wie Architekten setzen ihre Entwurfskunst für den menschlichen Körper im Raum und den Raum um den menschlichen Körper in Szene, um diesem Körper seine Erscheinung, seinen Auftritt zu geben. Dafür überarbeiteten schließlich auch die Architekten Hilmer & Sattler den Entwurf von Rolf Gutbrod für den neuen Eingangsbereich. Baukörper versus Körperbau: Versace provoziert und startet seine Schau keineswegs mit der hohen Schneiderkunst, seinen Galakleidern von enormen schnittechnischem Raffinement, sondern er beginnt mit dem Lobpreis der schieren Oberfläche.

Prächtige Stickereien, leuchtend bunte Seiden- und Lamégarne, Straß, Perlen, Pailletten, Flitter, Tressen und Borten, alles aufwendig von Hand appliziert, zieren Bustiers, Bodys, Boleros, Catsuits oder kurze Minikleider, von denen Versace ein für den Musicalstar Zizi Jeanmaire entworfenes ausstellt. Der bunte Schriftzug „Java forever“ benennt ihre Show und ist funktionsbestimmt harmlos gegenüber den von Andy Warhol inspirierten Marilyn-Gesichtern, die Versace seinen Käuferinnen auf den Hintern stichelt und die Beine entlanglaufen läßt; oder gegenüber der Madonna-mit-Kind- Ikone, deren Strahlenkranz aus Halbedelsteinen sich auch als Indianer mißdeuten ließe. Pop und Barock, klassische Gemmenschnitte, Rokoko-Rocailles, abstrakte klassische Moderne, antike Lyra-Motive, Flower-power aus Swinging London, grotesk verzerrte Tierfellmuster im Stil des Manierismus und der Op-art, das alles geht bei Versace. Und es geht zusammen, vor allem bei seinen Stoffdrucken, auf engen Lycra-Strumpfhosen, Seidenblusen und -hemden, auf den gerahmten Seidentüchern. Spätestens hier, im dritten Ausstellungsraum, wird unmißverständlich deutlich, daß Ironie das Kapital ist, von dem all dieser überbordende Zitaten-Zierat zehrt.

Naiv darf man an diese Mode nicht herangehen. Sie ist nicht die Wiederentdeckung einer natürlichen Weiblichkeit in grandiosem Dekorum, sondern die kalkulierte Feier der Masken und der Maskeraden der Weiblichkeit, der so arbeitsintensiven wie ästhetisch anspruchvollen Kunst, eine Frau zu sein.

„Marquis de Suede“ ist ein verballhornter Ehrentitel für Versace, den Lederfetischisten, der den Bezug zum S/M-Zeitgeist so dick aufträgt, daß er unwiderstehlich tragbar wird. Der frei übersetzte Marquis Schweinsleder bandagiert seine Models großzügig in schnallenbewehrte Gürtel, die auch die Gurgel umfassen. Das notorische Hundehalsband ist einfach ein schlechter Witz.

Im nietenbeschlagenen Biker- Schick wie in geschlitzten Punker- Jeans und in metallisierten Lederminis für den kommenden Winter, die mit über kniehohen Stiefeln aus Raubtierfell- und Schlangenlederimitat kombiniert werden, gibt Versace seinem Beifall für eine entschieden proletarische Ästhetik Ausdruck: hier ist er am besten. Vielleicht weil diese proletarische Ästhetik bekanntlich zeitlos aktuell ist, eine Eigenart, die den Klassiker in ihm reizen muß. Den Anspruch des Klassikers bekräftigt auch der Aufbau der Ausstellung.

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Thematisch gruppiert, werden die Kleider entgegen jeder Konvention ohne Hinweis auf das Kollektionsjahr gezeigt. Und in der Tat resultiert daraus eine gelinde Verwirrung. Denn die Rückschau über rund 15 Jahre zeigt, daß Versaces Entwürfe eigentlich nicht alterten, sie immern noch provokativ wirken und schlecht zu datieren sind.

Trotzdem, so ist das eben mit der Mode, man möchte einfach nicht zeitlos glücklich sein. Arg museal wird es denn auch, wenn die meist schwarzen Abendkleider und die raumausgreifenden Galaroben ganz strikt und einfach wie in einer Galerie aufgereiht sind, wie im zweiten, mit rotem Samt ausgeschlagenen Ausstellungsraum. Rührt doch der Kunstcharakter der Mode heute nicht von ihrer Präsentation auf dem Podest her, sondern aus ihrem Reflexivwerden, dem Ausstellen ihrer Brüche, ihrer Tricks und auch ihres Ideenklaus, wie er etwa in den Hosenträgern und ihren Ösen zum Ausdruck kommt, die Versaces kostbare Galakleider mit dem ölverschmierten Arbeitsoverall in Verbindung bringen. Nicht grundlos nennt Versace seine Mode „L'abito a pensare“, Kleider zum Nachdenken. Die bestickten Organzaträume, die scheinbar von langen Stecknadeln gehalten werden, die allerdings etwas edler geraten sind als die im Atelier verwendeten, stammen aus dieser Saison. Darüber gibt der Katalog Auskunft, der mit Komplimenten – unter anderem von Bob Wilson – an den Meister aufwartet und ansonsten durch die Modefotografien von Richard Avedon, Irving Penn, Doug Ordway, Herb Ritts, Bruce Weber, Wayne Maser, Tyen und Steven Meisel besticht. Bob Wilson spricht übrigens über Versace, weil ihm dieser die Kostüme zu seinen Inszenierungen „Salom“ und „Dr. Faustus“ an der Mailänder Scala entwarf. Die Theater- und Ballettkostüme zusammen mit den Skizzen von Werner, der für Versace zeichnet, sind ein weiteres Ausstellungsthema, wie seine Innendekoration. Angesichts der riesigen Kissen mit üppigen Goldborten und Seidenquasten, seiner klassizistischen oder barock rankenden Dekorationsstoffe, der mit seiner „Signature“, dem Medusenhaupt, geschmückten Porzellanteller werden sich nicht nur den Puristen die Haare aufstellen. Hier kann auch seine Forderung nach einer distanzierten Haltung, die mit dem Spiel der Mode kokettiert, nicht mehr greifen. Und dennoch ist es hoffnungsvolles Signal, daß die ästhetische Gegenreformation im Zeichen der Weiblichkeit hier in Berlin Einzug gehalten hat. Versaces Mode wird gerne als „verführerisch“ tituliert. Kann sie das Bollwerk des versteinerten preußischen Machismo für sich einnehmen? Brigitte Werneburg

Bis 25. 11., Kunstgewerbemuseum Berlin, Katalog ca. 70 DM