Keine Grenzen für High-Tech-Medizin

Auch die neue Fassung der Bioethik-Konvention verfehlt ihren Schutzzweck  ■ Von Klaus-Peter Görlitzer

Welche Anwendungen der High-Tech-Medizin erlaubt sein sollen und welche nicht – das will, stellvertretend für die EuropäerInnen, eine Organisation festlegen, die sich keiner unmittelbaren Wahl stellen muß: der Europarat, in dem derzeit 32 Staaten zusammengeschlossen sind.

Der erste Versuch, der „Vorentwurf“ einer sogenannten „Bioethik-Konvention“, wurde Anfang Mai bekannt. Verfaßt hatte ihn ein vom Europarat ernannter achtköpfiger „Lenkungsausschuß für Bioethik“. Weil die AutorInnen ihr Werk als „geheim“ eingestuft hatten, blieb es ehrenamtlicher Öffentlichkeitsarbeit vorbehalten, die Inhalte publik zu machen. Eine internationale BürgerInnen-Initiative, angestoßen vom Essener Gen-Archiv, informierte die Medien. Auf die Berichterstattung folgte ein Proteststurm. Kirchen, Behindertenorganisationen, der Weltkongreß für Soziale Psychiatrie sowie einige WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen waren sich prinzipiell einig: Die Konvention verfehlt ihre vorgebliche Absicht, die Würde und Individualität aller Menschen bei der Anwendung zu schützen und zu garantieren.

Von solcher Kritik offenbar unbeindruckt, erarbeitete der „Lenkungsausschuß“ Ende Juni einen endgültigen Entwurf. Er steht am 5. Oktober auf der Tagesordnung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und soll im Frühjahr vom Ministerkomitee beschlossen werden. Sobald ihn mindestens 5 der 32 Europaratstaaten ratifizieren, kann er in Kraft treten. Die neue Fassung der Bioethik- Konvention enthält zwar etliche redaktionelle Änderungen. Doch die Leitlinie blieb unverändert: Legitimiert wird, was technisch machbar ist.

Was das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet, erlaubt jetzt der neue Konventionstext: Forschungsexperimente an In- vitro-Embryonen – und zwar bis zum 14. Tag ihrer Entwicklung. Nach wie vor nicht thematisiert und damit nicht verboten wird die „Klonierung von Embryonen“.

Keine Probleme haben die europäischen Ethik-Wächter mit Gentests – ungeachtet der Warnungen, wie sie etwa die grüne Europaparlamentarierin Hiltrud Breyer formuliert hatte. Breyer sieht mit den Erbgut-Checks die Gefahr „der Selektion von Menschen nach angeblichen Gendefekten oder genetischen Prädispositionen“ und der „möglichen Nutzung dieser Technik zu eugenischen Zwecken“ kommen. Auch an Stellen außerhalb des Gesundheitswesens dürfen die Testergebnisse übermittelt werden. Setzte der erste Entwurf dafür noch nebulös „übergeordnete Interessen“ voraus, liegt es nun im Ermessen der Parlamente, per Gesetz die Nutzung der Genanalyse-Daten zu ermöglichen, beispielsweise zum „Schutz der öffentlichen Sicherheit“.

Weiterhin verboten ist gemäß Konventionsentwurf die sogenannte „Keimbahntherapie“, also die Manipulation menschlicher Geschlechtszellen. Dabei legt Professor Ludger Honnefelder, Mitglied der deutschen Delegation, die am Bioethik-Entwurf mitschreibt, Wert auf eine Änderung: Hieß es im ersten Entwuf noch, das Verbot der Keimbahntherapie müsse in einigen Jahren „im Lichte der wissenschaftlichen Entwicklung“ überprüft werden, fehlt ein solcher Hinweis nun. Dies sei auf Antrag der deutschen Vertreter erreicht worden. Nichtsdestotrotz arbeitet das von Honnefelder geleitete Bonner „Institut für Wissenschaft und Ethik“ derzeit an einem Forschungsprojekt, das ergeben soll, „welche Eingriffe in die Keimbahn als gerechtfertigt zu akzeptieren und welche abzulehnen sind“.

Große Empörung hatte im Mai Artikel 6 hervorgerufen, der auf sogenannte „incapacitated persons“ eingeht. Gemeint sein sollten im wesentlichen Kinder und Menschen mit geistiger Behinderung. An ihnen sollten medizintechnische Eingriffe auch ohne therapeutischen Wert erlaubt sein – und das ohne Einwilligung der Betroffenen. Zwar findet sich auch im neuen Entwurf der Artikel 6. Doch ist der Text nun mit zahlreichen Einklammerungen versehen und sei, so Honnefelder, „vom Lenkungsausschuß nicht autorisiert“; er solle aber in späteren Beratungen neu fomuliert werden. Daß Artikel 6 nicht ersatzlos gestrichen werden soll, macht aber zumindest eines deutlich: Wenn es um medizintechnische Eingriffe geht, wollen die BioethikerInnen offensichtlich weiterhin zwischen „incapacitated persons“ und anderen Menschen unterscheiden – trotz Diskriminierungsverbot und unteilbarer Menschenwürde.

„Die Bundesregierung“, so versprach Ende Juni der Parlamentarische Staatssekretät Rainer Funke vom Justizministerium, werde die Diskussion um die Bioethik-Konvention „mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln fördern und unterstützen“. Zu bemerken war davon bisher nichts.

Am Mittwoch können die VolksvertreterInnen zeigen, wieviel ihnen an der Ethik-Diskussion liegt – vorausgesetzt, der SPD-Abgeordnete Robert Antretter findet morgen Rückhalt in seiner Fraktion. Antretter, der auch Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ist, will seine Fraktion dazu bewegen, in die Bundestagssondersitzung am Mittwoch noch einen Entschließungsantrag einzubringen. Damit soll die Regierung aufgefordert werden, die Bioethik-Konvention „dem Bundestag zuzuleiten“. Im Rahmen einer parlamentarischen Anhörung mit Verbänden und Kirchen sollte, so die Antragsbegründung, „unverzüglich die öffentliche Diskussion begonnen werden“ und der Bundestag Position beziehen – bevor in Straßburg vollendete Tatsachen geschaffen werden. Viereinhalb Monate nach Bekanntwerden des ersten Konventionsentwurfes kommt dieser Antrag zwar sehr spät, eröffnet aber die Chance, Versäumtes nachzuholen. Dazu gehört auch die Erörterung der Grundsatzfragen: Ist es überhaupt zu verantworten, die – wie selbstverständlich vorausgesetzten – „biomedizinischen Techniken“ anzuwenden? Und ist eine Ethik-Konvention wirklich geeignet, Techniken zu beherrschen und zu begrenzen, die der Staat gleichzeitig als „Schlüsseltechnologie“ fördert?