Unter den Teppich gekehrt

■ Aussprache über Wahldesaster im Osten wurde kurzerhand abgesetzt

Nur für einen Moment lief die Regie aus dem Ruder. Ein Spiegel- Interview sorgte für Unruhe. Darin hatte Hans-Jochen Tschiche, Fraktionschef der Bündnisgrünen im Magdeburger Landtag, die dort als Mehrheitsbeschaffer für die rot-grüne Minderheitsregierung agierende PDS nicht nur als „erschreckend kooperativ“ bezeichnet, sondern sich für einen „Diskussionsprozeß“ zwischen den „Reformkräften“ der „linken, regionalen Volkspartei“ und Bündnisgrünen eingesetzt. Daß der Mitbegründer des Neuen Forums sogar „Listenverbindungen“ mit der PDS für denkbar hält, war dem Länderrat dann doch zuviel: Einstimmig und ohne großes Federlesen segneten die Delegierten eine Erklärung ab, in der die Vorstellungen Tschiches „mit allem Nachdruck“ zurückgewiesen wurden. „Die PDS ist unser politischer Gegner“, heißt es, „wer ihre Politik hoffähig macht, stabilisiert Kohl und verhindert den Wechsel.“

Eine Generaldebatte um die künftige Strategiebildung, das hätte den Bündnisgrünen nach den herben Wahlschlappen in Sachsen und Brandenburg gerade noch gefehlt. Angesichts dieses auch bundespolitischen Warnsignals war es nur verständlich, daß nicht nur Vorstandssprecher Ludger Volmer das „Feuerchen sofort austreten“ wollte; schließlich hatte man gerade erst einen anderen schwelenden Brandherd mehr oder weniger erfolgreich erstickt. Seit Geschäftsführerin Heide Rühle in der „Bonner Runde“ mit Schuldzuweisungen an ihre Parteifreunde im Osten vorgeprescht war, drohte der Kampf um eine „andere Mehrheit“ (Fischer) im innerparteilichen Zwist unterzugehen. Im Vorfeld des Länderrats hatte der ostdeutsche Bundestagsabgeordnete Konrad Weiß sogar einen Austritt der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler nicht ausgeschlossen – für den Fall, daß es nicht gelinge, den „Prozeß des Zusammenwachsens“ zwischen Grünen und Bündnis 90 zu vollenden.

„Wir haben den Streit sehr deutlich und sehr schnell beigelegt“, lautete das Schlußstatement von Heide Rühle. Für Joschka Fischer war der Zwist ohnehin nur eine für ihn nicht mehr nachvollziehbare Scheindebatte. Und Ludger Volmer erklärte, man werde das Ganze nach der Wahl intensiv diskutieren und daraus Schlüsse ziehen – solidarisch, versteht sich. Der Ost-West-Diskurs, schloß Marianne Birthler an, sei ja ohnehin noch im Gange und bislang „zumeist produktiv“ verlaufen.

Daß das Thema so problemlos unter den Teppich gekehrt werden konnte, dafür sorgte auch die Parteitagsregie. Der Tagesordnungspunkt „Im Osten nur Neues“, hinter dem sich eine Aussprache über das Wahldesaster verbarg, wurde kurzerhand abgesetzt. Der Grund: Der sächsische Landesverband tagte in Dresden, und ohne die Beteiligten hätte eine Diskussion wenig Sinn. Dennoch mutete es etwas gespenstisch an, daß keine Silbe über Niederlage und Konsequenzen fiel. Doch schon nach dem Wahlherbst dürfte die Debatte über die Orientierung der Ost-Partei die Bündnisgrünen wieder einholen. Dann wird auch das Verhältnis der Grünen zur PDS wieder auf der Tagesordnung stehen. Denn in einem hat Tschiche recht: „An der Debatte kommen wir nicht vorbei, wenn wir weiter Reformpolitik im Osten machen wollen.“ Erwin Single, München