Verhandlungsduell vor der Invasion

■ Viermal versuchte die Carter-Mission Haitis Militärmachthaber zur Aufgabe zu bewegen

Washington (taz) – Jimmy Carter wollte nicht aufgeben: Ein drittes und überraschend sogar ein viertes Mal traf der Unterhändler der US-Regierung gestern die haitianischen Militärmachthaber, um sie zum freiwilligen Aufgeben zu bewegen. Der für 18.00 MEZ gestern abend geplante Rückflug nach Washington verzögerte sich. „Hoffnungsvoll“ sah Carter die Chancen, eine friedliche Lösung herbeizuführen: Ein Rücktritt der Junta sollte in letzter Minute die US-geführte Militärintervention verhindern. Mehrere Länder, darunter Panama und Argentinien, haben nach Informationen aus Washington Haitis Junta-Boß Raoul Cédras und seinen beiden Kollegen Asyl angeboten.

Die ersten beiden Gesprächsrunden vom Samstag waren nach Angaben des Weißen Hauses ergebnislos verlaufen. Während sich vor der Küste die Armada von US-Kriegsschiffen formierte, war die US-Delegation mit den Militärführern Raoul Cédras und Philippe Biamby, deren Rücktritt zentrale Forderung der USA ist, und weiteren Offizieren der haitianischen Armee zusammengetroffen. Polizeichef Michel François, der sein Amt ebenfalls räumen soll, war nicht dabei.

Auch nach der dritten Runde sagte in Washington US-Generalstabschef John Shalikashvili, die USA folgten einem „sehr genauen Terminplan“. Das Programm für eine mögliche Militärintervention sei nicht geändert worden. Gestern abend hatten sich dann die Interventionstruppen in ihrer vollen Stärke von über 20.000 Soldaten auf mehr als 20 Kriegsschiffen vor der Küste Haitis versammelt.

Noch Ende der Woche schien eine weitere Runde im US-haitianischen Eiertanz eigentlich ausgeschlossen. Doch kaum hatte US-Präsident Bill Clinton seiner Nation am Donnerstag abend in einer Fernsehansprache erklärt, daß alle diplomatischen Versuche, die haitianischen Putschführer zum Rücktritt zu bewegen, gescheitert seien und eine Militärinvasion unausweichlich bevorstehe, da eilte er schnurstracks zurück ins „Oval Office“, um die nächste Verhandlungsdelegation gen Haiti zu schicken. Clinton rekrutierte große Namen: Mit Carter flogen der Ex- Vorsitzende der Stabschefs, Colin Powell, sowie der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Senat, Sam Nunn. Carter leitete jene internationale Delegation, die 1990 die ersten freien Präsidentschaftswahlen – und den Wahlsieg Aristides – beobachtete. Der ehemalige US-Präsident zeigte sich damals voll des Lobes über das Militär, das sich unter Führung von Cédras vorbildlich verhalten hätte. Sowohl Carter als auch Powell und Nunn hatten in den letzten Wochen mehr oder weniger deutlich Kritik an einer möglichen US-Invasion in Haiti geübt.

Mit seinem neuerlichen diplomatischen Manöver hatte Clinton nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch seine eigenen Berater überrascht. Was der Präsident am Samstag als „letzte, beste Chance“ für eine friedliche Lösung deklarierte, ist nach Befürchtung von Befürwortern einer Invasion eher der Versuch, eine solche aufgrund der anhaltenden innenpolitischen Kritik zu vermeiden, ohne dabei allzu großen Gesichtsverlust zu erleiden. Vor diesem Hintergrund wäre der Spielraum für die Putschisten, neue Bedingungen zu stellen, wieder enorm gewachsen. Andrea Böhm