Wenn die Kulissentür mal nicht scheppert

■ Steinbeck op platt (1): "Vun Müüs un Minschen" im Ernst-Waldau-Theater, ohne Plattheiten und Klischees

Da waren sich meine Freunde mal einig. Nein, schönen Dank, die Einladung hätte ich mir sparen können, zu einem plattdeutschen Theaterabend wollte mich niemand begleiten. Diese Erfahrung ist kein Einzelfall. Auch anläßlich des Ernst-Waldau-Theaters, das am Wochenende mit einer Premiere die neue Bremer Spielzeit eröffnet, behaupten sich die alten Vorurteile hartnäckig. Zeitgenossen, die sich die Hoch- oder auch Alternativkultur auf die Fahnen geschrieben haben, scheinen sich unter niederdeutschem Theater eine Art Theater der niederen Art vorzustellen. „Vun Müüs un Minschen“, wie die niederdeutsche Bearbeitung von Walter Arthur Kreye heißt, überträgt John Steinbecks erfolgreiches Bühnenstück „Of Mice and Men“ aus der amerikanischen Depressionszeit der 30er Jahre in heimatliche Gefilde: Norddeutschland um 1900 – irgendwo mitten in der Landschaft.

Schorsch und Hinni sind wieder einmal unterwegs. Schorsch ist clever und Hinni ein braver Arbeitsmann, bärenstark, aber leider im Kopf ein bißchen schwach. Das macht ihn zu einem gefährlichen Zeitgenossen, der in seinem kindlichen Bedürfnis nach Zärtlichkeit manch Maus und kleinen Hund zu Tode streichelt. Meist kann Schorsch das Schlimmste verhindern, übernimmt die Rolle des Aufpassers im Team. Gleich bei der Ankunft auf dem Hof des Großbauern Kalli wird klar, wie deutlich sich die unbedingte brüderliche Freundschaft der beiden von der normalen Hackordung in der Männergemeinschaft der Landarbeiter unterscheidet. Wo die anderen Saisonarbeiter ihren kärglichen Lohn für Suff und Kartenspiel draufgehen lassen, sparen Hinni und Schorsch den letzten Groschen. Sie wollen es einmal schaffen und sich ein Stück Land, ein Haus kaufen. Mehr und mehr jedoch verkommt dieser Traum, den alle Saisonarbeiter heimlich träumen, vom konkreten Ziel zur Illusion. Regisseur Wolfgang Schenck, der als Schauspieler in Bremen begann und sich nach Jahren als freier Regisseur mit dieser Inszenierung am Waldau-Theater als neuer Hausregisseur vorstellt, tut alles, um die landläufigen Vorurteile gegen niederdeutsches Theater zu entkräften. Dies ist keine Boulevardkomödie, in der mit hochtouriger Betriebsamkeit die Kulissentüren scheppern und halbbekleidete Verwechslungopfer laut kreischend hinter Schlafzimmerschranktüren erwischt werden. Statt Billigtheater auf Platt gibt's hier sozialdokumentarisches Volkstheater ohne Peinlichkeit.

Dabei sorgt ein bewährtes Rezept für dies Unterhaltungstheater der leisen, heiteren Töne: eine kluge Textwahl, eine schlichte und übersichtliche Inszenierung, die die Stärken der Vorlage nutzt und die Schwächen einer stellenweisen unkontrollierten Melodramatik vermeidet, und eine gute Besetzung. Während Klaus Marth als Darsteller des Schorsch manchmal ein bißchen zu angestrengt seine Männlichkeit zur Schau stellt, trifft Heino Stichweh als Hinni durchgehend den richtigen Ton. Eine beachtliche Leistung, verführen doch die Rollen der Betrunkenen und Blöden den Schauspieler leicht zur Überzeichnung – und wie groß wäre die Versuchung im niederdeutschen Theater gewesen. Für alle die, die eigenen Vorurteile über Bord werfen wollen, eine unbedingte Empfehlung. Susanne Raubold

Nächste Vorstellungen am Mittwoch und Freitag, jeweils 20 Uhr im Ernst-Waldau-Theater