Mahnmal mit Fundament

■ Am Ende eines bedrückenden Streits: In Steglitz wurde gestern der Grundstein für die "Spiegelwand" gelegt

Einen „Großen Bahnhof“ gab es gestern morgen auf dem Steglitzer Hermann-Ehlers-Platz für zwei riesige Betonklötze. Eine Schülerdelegation der Fichtenberg-Oberschule war mit Transparenten erschienen, Bildreporter suchten nach günstigen Blickwinkeln. Die beiden grauen Giganten bilden das Fundament für die umstrittene „Spiegelwand“, die an die ermordeten Steglitzer Juden erinnern soll.

Kaum eine halbe Stunde benötigten die Bauarbeiter, um die von einer Ostberliner Firma gefertigten Fundamentteile paßgenau in der Baugrube zu postieren. Damit sind unumstößliche Fakten geschaffen, die ein Gedenken an die Steglitzer Juden ermöglichen, das dem Holocaust unübersehbar Rechnung trägt – auch wenn sich manch einer vor Ort immer noch daran stößt.

Große Koalition aus CDU/FDP und Reps

Denn wenn es nach dem Willen des Steglitzer Bezirksparlaments gegangen wäre, wäre das Mahnmal der Berliner Architekten Wolfgang Göschel und Joachim von Rosenberg, um das seit 1989 gerungen wird, „ersatzlos gestrichen“ worden.

So lautete jedenfalls ein Beschluß, den die BVV im Februar mit den Stimmen von CDU, FDP und den Reps faßte. Nachdem die CDU das Projekt zunächst mitgetragen hatte, startete sie – im Zuge des gewendeten Zeitgeistes – nach dem Abschluß des Wettbewerbsverfahrens eine Kampagne gegen die „Spiegelwand“.

Hinter den Scheingefechten um Formalien und dem peinlichen Zentimeterstreit um die Dimensionen des Denkmals verbarg sich allerdings ein tieferes Anliegen. Teile der Steglitzer CDU nutzten die Debatte zur rechtspopulistischen Profilierung: Auf elf Metern daran erinnert zu werden, daß der Holocaust vor der eigenen Haustür begann, war ihnen zuviel. Mit der Größe des Denkmals sollte vor allem auch die Last von Auschwitz minimalisiert werden.

Der Ablehnungsbeschluß sowie das verheerende internationale Presseecho veranlaßten Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) schließlich zum beherzten Einschreiten. Nachdem das Bezirksamt ein Ultimatum tatenlos hatte verstreichen lassen, nahm er im Mai das Verfahren an sich und verfügte gegen den heftigen Protest von Bezirksbürgermeister Weber (CDU) die rasche Realisierung der „Spiegelwand“.

Nach der gestrigen „Grundsteinlegung“, die einem Teilnehmer gar wie die „Errichtung des dritten Tempels“ vorkam, wird der Platz mit Granitplatten verlegt, damit ab Mitte November der Wochenmarkt stattfinden kann. Die 9 mal 3,5 Meter große Wand aus spiegelndem Stahl, auf der neben Abbildung und Texten vor allem die Berliner Deportationslisten mit den Namen der Juden aus Steglitz dokumentiert werden, wird voraussichtlich im Februar 1995 aufgestellt werden.

Wie nötig die „Spiegelwand“ in Steglitz ist, zeigte sich, als kurz nach Errichtung der Bauzäune rund um den Hermann-Ehlers- Platz antisemitische Klebezettel auftauchten. Horst Seferens