Ein Bergwerk im Wartestand

Ein Salzstock in Carlsbad, New Mexico, soll verstrahlten Müll aufnehmen / Das lange Warten auf die brisanten Fässer schafft Arbeitsplätze in der Region / Sicherheitsprobleme sieht niemand  ■ Von Annette Jensen

Bobby Ponces Weg zur Arbeit führt durch die Wüste. Hartes Gestrüpp, das sich aus der steinigen, roten Erde quält, wirft spärliche Schatten – jetzt am frühen Morgen. Dem Bus mit den sechzehn Pendlern gehört die vierspurige Autobahn fast allein, der Fahrer steuert im Halbschlaf. Nach 35 Meilen das Ziel: die Waste Isolation Pilot Plant (WIPP), zwei weiße Bergwerkstürme und einige Flachbauten auf klinisch sauberem Gelände. Jenseits des Zauns ein breiter, flacher Salzberg.

Es ist kurz vor sechs. Bobby Ponce hängt sich eine Computerkarte mit Paßfoto um den Hals. Sein Körper wirkt kraftvoll, die Augen müde. Der Kollege am Tresen gibt ihm ein Messingplättchen und schreibt die darauf eingestanzte Nummer in ein Buch. Wie viele und welche Leute unten sind, wird genau kontrolliert. Ponce hakt die rote Grubenlampe vorne im Helm ein und schnallt einen Gürtel mit der Gasmaske um.

Der Aufzug füllt sich schnell – etwa dreißig Leute haben Platz. Ein Unterbau für Lastentransporte verhindert den Blick in den 700 Meter tiefen Schacht. Sanft und schnell gleitet der Fahrkorb hinab. Vier Minuten später sitzt Ponce an seinem Schreibtisch direkt neben dem Schacht. Für die Dauer einer Schicht wird er nun die Ausrüstung der Arbeiter kontrollieren und ein paar Telefongespräche führen. Das ist alles.

Die WIPP ist ein Bergwerk im Wartestand. Hier, im südöstlichen Zipfel New Mexicos bei Carlsbad, soll strahlender Müll endgelagert werden: mit Plutonium und verschiedenen Chemikalien verseuchte Werkzeuge, Handschuhe und verfestigte Flüssigkeiten aus der Bombenproduktion. Ein Fünftel der heute in den USA existierenden Menge soll die Carlsbader Pilotanlage aufnehmen. Der staatliche Auftrag: „zu demonstrieren, daß eine sichere Einlagerung radioaktiven Mülls aus den Verteidigungsaktivitäten möglich ist“.

Ginge es nach den Konzernmanagern von Westinghouse, die das Bergwerk im Auftrag des US-amerikanischen Energieministeriums bauen ließen, wären die ersten Fässer schon 1988 angeliefert worden. Aber die Sicherheitsvorkehrungen mußten nachgebessert werden, ein Kompetenzstreit zwischen den Behörden in Washington und Santa Fé sowie Klagen von Umweltschützern verhinderten bisher die Betriebsaufnahme. Jetzt soll der Müll 1998 kommen.

„Ich kenne keine Grube, die so gut ausgebaut ist wie diese“, sagt Bobby Ponce. Bis vor sechs Jahren hat er Pottasche aus dem Boden von New Mexico geholt. Aber etliche Bergwerke haben dichtgemacht, viele Kumpel wurden arbeitslos. Ponce ist heilfroh, daß er in der WIPP untergekommen ist. Der Lohn sei der gleiche wie früher, die Arbeit angenehmer.

Mit Elektroautos machen sich seine Kollegen auf in das Geflecht unterirdischer Straßen. Die eckigen Tunnel sind etwa fünf Meter hoch und sechs bis sieben Meter breit. An den rechtwinkligen Kreuzungen hängen Rundspiegel, tief im Bergwerk tauchen nur alle paar Minuten die Scheinwerfer eines Vehikels darin auf. Hier und da steht ein Klohäuschen.

Manche Gänge sind stockfinster, andere mit Neonlicht hell ausgeleuchtet, so daß die weiß-braune Maserung der schroff abgeschabten Salzwände sichtbar wird. Zu über 90 Prozent reines Salz, 225.000 Jahre alt und in größtenteils waagerechten Schichten – das waren die Argumente der Wissenschaftler für diesen Standort. Die Lokalpolitiker hatten hingegen vor allem die neuen Arbeitsplätze im Sinn, als sie den Salzstock in der Wüste östlich von Carlsbad als Standort anpriesen. 750 Bergarbeiter und Wissenschaftler verdienen in der WIPP ihr Geld. Wenn der Müll kommt, sollen es noch einmal 40 mehr werden.

Die Salzstollen für die erste Einlagerungsphase sind gegraben, doch die Experimente mit Probemüll finden jetzt noch in Idaho statt, dort wo ein Großteil des nuklearen Abfalls herkommt. Eine große Computeranlage, untergebracht in zwei hell gestrichenen Blechcontainern, lagert vor einer Halle. An deren Wänden hängen in regelmäßigen Abständen Schläuche mit Näpfen vornedran, die an Melkmaschinen erinnern. Sie sollten an die ersten Tonnen angeschlossen werden, um deren Ausgasungen zu messen.

Das Salz soll den Müll für ewig einschließen

Fünf Männer mit blauen Kitteln stehen in einer der künftigen Lagerhallen auf einem fahrbaren Gestell. Die Bergleute bohren Löcher und schieben meterlange Eisenstangen ins kristalline Gestein. Vor ein paar Tagen waren hier einige Brocken von der Wand gefallen; jetzt sichern sie den Schacht gegen einen weiteren Zusammenbruch.

„Daß das Salz runterkommt, ist ganz normal, ja beabsichtigt“, sagt Jay Lees, der zur fünfköpfigen PR- Truppe der WIPP gehört. „Der Boden hebt sich nach und nach, die Wände kommen nach innen und die Decke auch. Schließlich wird das Salz den Müll für ewig einschließen“ – alles ganz sicher. Lees zeigt durch ein vergittertes Fenster, hinter dem rosa-weiße Gerölltrümmer liegen. „Seit Februar rechneten wir täglich mit dem Einsturz der Decke, im Juni dann endlich war es soweit.“

An anderer Stelle haben die Forscher ein metergroßes Loch in den Boden gegraben, um zu erkunden, ob Wasser in den Salzstock eindringt. Die Minipfütze darin findet der Öffentlichkeitsmann nicht beunruhigend: „Vermutlich stammt es von einem Regenschauer“, ist seine Erklärung. Das Naß in 1.500 Meter Tiefe jedenfalls sei weit weg und außerdem salzgesättigt. Und auch die Wasserblasen in 200 bis 300 Meter Höhe könnten dem Endlager nicht gefährlich werden. „Wir nehmen alle Bedenken ernst. Aber es kann wirklich nichts passieren“, meint er.

Die meisten Forschungsarbeiten in der WIPP finden jedoch nicht im Schacht, sondern an Computern und Schreibtischen in den fensterlosen Büroräumen oberhalb des Salzstocks oder in Professorenbüros im ganzen Land statt. Die Wissenschaftler sollen garantieren, daß der Atommüll mindestens 10.000 Jahre lang sicher gelagert ist – so schreibt es das US- Energieministerium vor. Zwar ist Plutonium nach mehr als 20.000 Jahren erst halb so gefährlich wie heute, und erst nach lächerlichen 240.000 Jahren geht von ihm keine Gefahr mehr aus. „Über 10.000 Jahre hinaus zu planen aber ist doch wohl illusorisch“, folgert selbst Lees.

Außer Geologen und anderen Naturwissenschaftlern stehen auch Sprachforscher, Historiker und Soziologen auf der Honorarliste der WIPP. Sie sollen herausfinden, wie die Menschen in einigen tausend Jahren davon abgehalten werden können, in der Wüste von New Mexico herumzugraben. Smilies mit heraushängender Zunge, Totenköpfe und Bildergeschichten sind das Ergebnis eines zweijährigen Brainstormings, festgehalten in einer Kladde: „Die Symbole müssen so beschaffen sein, daß sie auch von Leuten verstanden werden können, die nicht direkt mit unserer Kultur verbunden sind.“ Immerhin geht es um einen Zeitraum wie dem seit der mittleren Steinzeit, als unsere Vorfahren in Europa gerade lernten, Feuersteine zu bearbeiten. Da die langfristige Fortexistenz der USA keineswegs sicher sei, schlagen die Forscher außerdem schriftliche Nachrichten auf arabisch, englisch, französisch, russisch, chinesisch und Navajo-indianisch vor, die außerdem weltweit in Bibliotheken archiviert werden sollen.

Höchst besorgt gibt ein Wissenschaftlerteam zu bedenken, daß die Warnschilder auf jeden Fall einen geringen Materialwert haben müßten, damit sie nicht geklaut würden. Andere plädieren für unregelmäßige Formen und Verkeilungen von Nachrichten im Gestein: Die Wahrscheinlichkeit, daß sie irgendwann für Neubauten verwendet würden oder im Museum landeten, sei dann geringer. Daß Leute wie Saddam Hussein, russische Atomschmuggler oder andere Mächte der gefährlichen Tonnen einmal habhaft werden könnten – das kommt in den Zukunftsszenarien nicht vor. „Ich bin mir aber sicher, daß wir alle mit der Kennzeichnung zusammenhängenden Probleme lösen werden. Wir haben ja noch mehr als 25 Jahre Zeit dafür“, meint Stewart B. Jones, der als Biologe für Westinghouse arbeitet und sich zur Zeit mit der Flora und Fauna in der Umgebung der Anlage beschäftigt, um später mögliche Veränderungen feststellen zu können.

„Weil wir alle stolz auf Amerika sind“

Halb drei: Schichtende für Bobby Ponce. Der Bergmann eilt über den schattenlosen Parkplatz zum Bus. Sein Kollege Richard West hat schon am Fenster Platz genommen. Er findet die ganze Warterei auf den Müll idiotisch. Natürlich müsse alles abgesichert sein. Aber die Bedenken der Politiker und Umweltschützer seien doch nur vorgeschoben. „Das ist doch alles zehnmal abgesichert und untersucht worden.“ Außerdem habe die WIPP schon eine Menge Arbeitsplätze geschaffen, eine Menge Wissenschaftler würden in den kleinen Ort in der Wüste gezogen und brächten Geld mit. „Ohne die WIPP wären viele von uns ohne Job“, pflichtet ihm ein Kollege bei. Jetzt aber sei das Pro-Kopf-Einkommen in Carlsbad eines der höchsten in den USA.

Erst vor kurzem hat Energieministerin Hazel O'Leary bei einem Besuch 33 Millionen Dollar für ein Forschungszentrum in Carlsbad zugesagt. Gern und ein bißchen stolz erinnert sich Richard West an das Zusammentreffen mit der Ministerin. Er hatte ein Gedicht geschrieben, das er O'Leary bei ihrer Ankunft im Schacht überreicht hat. „Wir glauben noch, wir vertrauen auf Gott, wir tun es nicht aus Geldgier und Lust, wir arbeiten zusammen, jede Frau und jeder Mann, weil wir alle stolz auf Amerika sind.“