Die schärfsten Kritiker der Elche ...

... waren früher selber welche: Mit massivem Vorgehen gegen die Opposition versucht Südkoreas einst selber zur Dissidenz zählender Präsident Kim, einem harten Image gerecht zu werden  ■ Von Georg Blume

Tokio (taz) – „Tränengas ist unsere Luft“, sangen die Studenten in Seoul, und in ihrem Rücken forderte ein Politiker namens Kim Young Sam: „Nur die Freilassung aller seit dem 10. Juni Verhafteten und Angeklagten kann uns zu Gesprächen bewegen.“ Das war vor sieben Jahren, und der Dissident Kim, den die Mächtigen wenige Jahre zuvor noch selbst hinter Schloß und Riegel gebracht hatten, stand auf seiten der Studenten, die mit ihren mutigen Demonstrationen im Sommer 1987 den Sieg über die Diktatur fast allein erfochten.

Heute singen die Studenten von Seoul erneut ihr altes Lied. Mit gutem Grund: Gleich mehrmals summten in den letzten Wochen Hubschrauber über der Stadt, aufgetankt mit Hunderten von Tränengaskanistern, die sie wie gewohnt über den Versammlungsplätzen der Universitäten vergossen. Seitdem hören die Demonstrationen nicht auf. Tausende Studenten wurden verhaftet und etliche verletzt, doch derjenige, der einst ihre Freilassung forderte, setzt sie heute selber fest: Kim Young Sam wurde vor zwei Jahren zum ersten zivilen Präsidenten Südkoreas gewählt – und spricht seiner Vergangenheit hohn.

„Wie werden keinerlei Angriffe auf unser freies und demokratisches System tolerieren“, rechtfertigte Kim die bislang schärfste Repressionskampagne gegen Regimekritiker und Linksradikale seit den Tagen der Generäle. Dabei schwingt Kim heute den gleichen Knüppel, der ihn vor vierzehn Jahren selbst hinter Gitter brachte: das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz, legislatives Herzstück der alten Diktatur, das abzuschaffen sich bis heute kein Regierender getraute.

Dieses Gesetz sieht vor, daß jeder auf unbestimmte Zeit verhaftet und verhört werden kann, der das gegnerische Nordkorea „preist, ermutigt oder seinen Standpunkt einnimmt“. Ebenso verboten ist jeglicher Kontakt mit Nordkoreanern oder der Versuch einer Reise in den Feindstaat. „Die lockere Interpretation des Nationalen Sicherheitsgesetzes hat erneut zu willkürlichen Verhaftungen von politischen Gefangenen geführt, zu denen Studenten, Dissidenten, Schriftsteller und Verleger zählen“, meldete amnesty international. Allein in den vergangenen sechs Wochen verfaßte amnesty drei dringende Appelle an die südkoreanische Regierung zur Freilassung verhafteter Demonstranten, während Seoul zuvor nur noch in den Jahresberichten der Organisation aufgetaucht war. Indessen schloß sich auch Washington, der wichtigste Verbündete Südkoreas, den Protesten an und mahnte die Änderung des umstrittenen Sicherheitsgesetzes an – was deutsche Regierungsgäste in Seoul bisher immer vermissen ließen.

Anlaß für die Verhaftungswelle sind nach Auskunft Seouls die Sympathiebekundungen vieler Studenten für das nordkoreanische Regime. „Nordkorea steht hinter den Studentendemonstrationen“, klagte Park Hong, Präsident der Sogang-Universität in Seoul. „Jedem, der etwas von kommunistischer Theorie versteht, muß das klar sein.“ Tatsächlich forderten viele Demonstranten in diesem Jahr, daß die südkoreanische Regierung ihr Beileid für den verstorbenen Diktator des Nordens bezeugen solle. Allerdings gehörten die damit einhergehenden Aufrufe zur nationalen Einheit und zum Rückzug der in Südkorea stationierten US-Truppen schon seit Jahrzehnten zum studentischen Forderungskatalog. Neu ist auch nicht, daß die radikalste und kleinste Studentenorganisation, „Jusapa“, der Doktrin des nördlichen Kim-Regimes anhängt. Weiterhin aber fehlen der Regierung im Süden alle konkreten Beweise, die auf eine kommunistische Unterwanderung der Universitäten hindeuten. Universitätspräsident Park, der in der Öffentlichkeit als Hauptankläger auftritt, konnte seine Behauptungen lediglich mit einem Besuch in Usbekistan vor mehr als drei Jahren untermauern, wo er angeblich nordkoreanische Diplomaten beim Faxen an Studentengruppen in Seoul erwischte.

„Es herrscht eine Atmosphäre wie in der McCarthy-Ära“, räumte ein Beamter des südkoreanischen Außenministeriums in Anlehnung an die Kommunistenverfolgung während der 50er Jahre in den USA ein. Verantwortlich dafür sei die Innenpolitik, da Präsident Kim versuche, sein Image bei den konservativen Kräften zu verbessern. Der 22jährige Medezinstudent Do Young Kyon wollte vergangene Woche dennoch weiterdemonstrieren: „Wenn Nordkorea die Studenten unterstützen würde, wäre das falsch, aber die Hexenjagd bei uns kann ich nicht unterstützen. Unsere Regierung verbietet schlicht die Gedankenfreiheit.“