Woher kommen die Waffen?

■ Bosnische Serben besetzen ein UNO-Depot bei Sarajevo

Berlin (taz) – Mit der mehrstündigen Geiselnahme von 22 französischen Unprofor-Soldaten durch bosnisch-serbische Truppen bei Sarajevo drohte gestern die Spannung rund um die bosnische Hauptstadt zu eskalieren. Nachdem es bereits am Sonntag die schwersten Feuergefechte seit einem halben Jahr gegeben hatte, gingen die Kämpfe auch am Montag vormittag weiter. Der Oberkommandierende der UN-Truppen in Bosnien, der britische General Michael Rose, bezichtigte die bosnische Armee, die Kämpfe provoziert zu haben, und drohte mit Luftangriffen der Nato, die sich gegen beide Seiten richten sollten. Die bosnische Regierung hingegen schob den serbischen Nationalisten die Schuld am Ausbruch der Kämpfe zu. Nach der Drohung von General Rose erklärte sich Bosniens Präsident Alija Izetbegović bereit, die Angriffe der Regierungsarmee einzustellen. Wegen der dichten Wolkendecke über der bosnischen Hauptstadt wurden Nato-Luftangriffe jedoch für unwahrscheinlich gehalten.

Die UN-Soldaten hatten die Aufgabe, ein Waffendepot der serbisch-bosnischen Armee nördlich von Sarajevo zu bewachen, in dem seit der Nato-Aktion im Februar schwere Waffen unter Verschluß gehalten wurden. Offenbar gelang es den Serben, drei Haubitzen aus dem Waffendepot zu entwenden und durch Verminung der Umgebung des Depots die französischen Soldaten dort festzuhalten. Nach Verhandlungen mit den UN-Truppen wurden die Minen geräumt.

Obwohl die UNO alle schweren Waffen in einer 20-Kilometer- Zone rund um Sarajevo kontrollieren sollte, wurden solche Waffen in den zwei vergangenen Tagen von beiden Seiten eingesetzt. Nach Angaben von Rose soll die bosnische Armee 70 bis 100 Granaten auf serbisch besetztes Territorium abgefeuert haben. Die serbische Seite habe mit zwei Gegenangriffen geantwortet. Journalisten vor Ort haben diese Angaben jedoch in Zweifel gezogen, ihrer Ansicht nach ist die Zahl der serbischen Gegenangriffe höher gewesen.

Bei den Schießereien am Sonntag wurden im Stadtgebiet nach UNO-Angaben drei Menschen getötet und 18 verwundet. Auf serbischer Seite sind nach Eigenangaben ein Soldat getötet und mehrere verletzt worden. Wie es zu den Artillerieduellen kommen konnte, ist noch ungeklärt. Bisher ist noch kein Fall bekannt, in dem Soldaten der bosnischen Armee schwere Waffen aus den Depots entwendet hätten. So bleibt die Frage vorerst offen, woher die Waffen stammen sollen, die aus dem Stadtgebiet heraus nach Angaben der UNO zum Angriff benutzt wurden.

Schon während der letzten Wochen kam es in Sarajevo fast täglich zu Schießereien. Auf die serbischen Scharfschützen, die fast täglich ihre Opfer fanden, antwortete die bosnische Armee, es kam zu „Maschinengewehrduellen“. In Sarajevo wurde schon seit langem von der örtlichen Presse beklagt, daß die Nachrichten über die täglichen Kämpfe in den Weltmedien nicht mehr durchdrangen. Mit der Absperrung der Wasser-, Strom- und Gasversorgung durch die serbische Seite wird die zivile Bevölkerung jetzt in zusätzliche Gefahr gebracht. Denn manche der wenigen Wasserstellen, aus denen Grundwasser geschöpft werden kann, liegen im Schußfeld der Scharfschützen. Erich Rathfelder