Schweden rutscht ein Stück nach links

Sozialdemokraten übernehmen mit Ingvar Carlsson die Regierung / Keine Koalition mit Linkspartei und Grünen, sondern Minderheitsregierung / 41 Prozent Frauen im Parlament  ■  Aus Stockholm Reinhard Wolff

Schwedens neuer Reichstag wird ein wenig linker und ein Stück weiblicher. Von 42 auf 57 Prozent konnten sich die Parteien des linken Spektrums, Sozialdemokraten, Linkspartei und Grüne, bei den Parlamentswahlen am Sonntag steigern. Von 47 auf 41 Prozent rutschte das bisherige Rechtsbündnis aus Konservativen, Zentrum, Liberalen und Christdemokraten ab. Die rechtspopulistische Neue Demokratie, die mit fremdenfeindlicher Stimmungsmache bei den letzten Wahlen 6,7 Prozent erringen konnte, kam mit 1,2 Prozent nicht mehr in den Reichstag.

Was sich im rechten Wahllager sammelte, reichte für Ministerpräsident Carl Bildt nicht, um weitermachen zu können: Noch am Montag mittag erklärte er dem König seinen Rücktritt. Der neue Ministerpräsident des Landes wird Ingvar Carlsson heißen. Seine Sozialdemokratische Partei konnte 8 Prozent zulegen und kam auf 45,6 Prozent. Zu wenig, um allein regieren zu können, genug aber, um eine parlamentarische Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten zu bilden.

Den Machtwechsel in Schweden haben aber nicht die SozialdemokratInnen allein geschafft. Sie erzielten zwar einen Erdrutschsieg und fuhren ihr bestes Ergebnis seit 20 Jahren ein. Europaweit stehen sie damit an der Spitze der sozialdemokratischen Parteien. Aber zur Niederlage des Rechtsbündnisses hat auch die kräftig erstarkte Linkspartei beigetragen, die mit ihrer neuen populären Vorsitzenden Gudrun Schyman auf 6,1 Prozent kam und mit weiteren beliebten KandidatInnen wie der 21jährigen Filmdarstellerin von „Ronja Räubertochter“, Hanna Zetterberg, aufwarten konnte. Und auch die Grünen, die in der letzten Legislaturperiode mit 3,3 Prozent die Vierprozenthürde nicht hatten nehmen können, sitzen jetzt mit 5 Prozent wieder im Reichstag. Linkspartei wie Grüne haben durch ihre Repräsentation im Parlament auch wesentlichen Anteil daran, daß sich Schweden nunmehr eines neuen Weltrekords rühmen kann: 41 Prozent der ParlamentarierInnen, das heißt 143 von insgesamt 349 Abgeordneten, sind Frauen. Auch für die neue Regierung wird erwartet, daß Ingvar Carlsson ein deutliches „weibliches Signal“ setzen wird.

Grüne und Linkspartei werden darin aber definitiv nicht vertreten sein. Schon im Wahlkampf hatte Carlsson verkündet, er wolle eher mit der liberalen Volkspartei zusammenarbeiten als ein Bündnis mit den „Linksopportunisten“ eingehen. Von den Liberalen erwartet sich Carlsson mehr Unterstützung für sein Wirtschaftsprogramm. Denn die Wiederbelebung des Wohlfahrtsstaates nach altem Muster ist auch Carlssons Sache nicht: Noch in der Wahlnacht machte er den SchwedInnen klar, daß ihnen wirtschafts- und sozialpolitisch harte Zeiten bevorstehen: „Meine Hauptaufgabe wird die Bekämpfung der Wirtschaftskrise und die Stabilisierung der Staatsschulden sein.“

Die Börse reagierte sauer auf den Machtwechsel: Die Kurse gingen in den Keller. Die Wirtschaft hätte es lieber gesehen, wenn die Sozialdemokraten sich ein liberales Koalitionszünglein an der Waage für die neue Regierung aufgehalst hätten. So steht ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten an, worin sich Ingvar Carlsson allerdings bereits während seiner letzten Regierungsperiode zwischen 1988 und 1991 als wahrer Meister erwiesen hatte. Vor allem für einige anstehende umweltpolitische Weichenstellungen könnte Schwedens neue rot-grüne Mehrheit Zeichen setzen: Einige gigantische Straßenbauprojekte könnten gekippt werden, und wenn wie vorgesehen im Jahr 2010 aus der Atomkraft ausgestiegen werden soll, müssen dringend energiepolitische Entscheidungen über Ersatzenergiequellen getroffen werden. Die bisherige Regierung hatte das immer vor sich her geschoben.

Schweden geht nach den jetzigen Parlamentswahlen gleich in seinen nächsten Wahlkampf. Am 13. November steht die Volksabstimmung über den EU-Beitritt an, die als erste wichtige Bewährungsprobe der neuen Regierung gilt. Die Sozialdemokraten sind als Partei in dieser Frage gespalten, und der Ausgang des Referendums wird entscheidend davon abhängen, wieweit es Ingvar Carlsson gelingen wird, seinen eigenen Pro- Europa-Kurs in der Anhängerschaft seiner Partei durchzusetzen. Eine am Wahltag vor den Wahllokalen durchgeführte Umfrage ergab mit 51 Prozent erstmals eine Mehrheit der SchwedInnen für einen EU-Beitritt. Damit könnte sich die Hoffnung der Wirtschaft bestätigen, daß allein ein sozialdemokratisch geführtes Schweden den Sprung nach Europa schaffen könne.