Im fliegenden Klassenzimmer

■ „They Might Be Giants“ im Tivoli: Blödpop für alternde Abiturienten

„Sag', daß ich der einzige Vogel unter deiner Perücke bin!“ Ja, da fällt der Fankreis lachend ein, singt und schunkelt. Denn solcher Blödsinn, in charmante Popsongs verpackt und bedeutsam in die Welt geschrien: Das ist genau, was die Fans von „They Might Be Giants“ erwarten. Und nach wie vor bekommen. Auch im 8. Erfolgsjahr seines Bestehens pflegt das dynamische Duo aus Brooklyn die Kunst der dreifach überdrehten Pop-Parodie. Beim Konzert im Bremer „Tivoli“ durfte das Publikum staunen, wie weit die „Giants“ ihr bescheidenes Konzept – nämlich: sämtliche Musikstile zwischen Polka und Punk lustvoll durch den Wolf bzw. das Akkordeon zu drehen – doch immer wieder treiben können.

Dabei schien der Witz schon so ziemlich ausgereizt. Die jungen Giganten waren Mitte der 80er angetreten, um als letzte aller möglichen Popbands der ganzen Geschichte die Krone aufzusetzen – und sie dann zu Grabe zu tragen. Damit war natürlich auch das Ende der „Giants“ schon von vornherein besiegelt. Bevor sie aber anfangen, sich selbst zitieren und ihre Minimalkunst zu Tode zu reiten, machen nun nochmal richtig orchestralen Krach: Für ihre neue Tournee haben sich John & John zur Big Band hochgerüstet, um für nun wirklich alle Fälle der Musikgeschichte gewappnet zu sein.

So kommen die gekonnt verschaukelten Ländler, die Lieblingsmusik der „Giants“, heuer im nahezu originalgetreuen Alpinsound angetrollt: Drei Bläser, ein Brummbaß und ein echter Trommler schuften jetzt auf der Bühne, wo vormals nur die beiden Johns und ihr Casio werkelten. Mit diesem Aufgebot kann man sich dann auch an dickere Brocken der Rockhistorie ranmachen. Eine Dumpfrocknummer von 1973 z.B. („damals hießen wir noch Edgar-Winter-Group“) wird von der Big Band problemlos nachgeäfft, in seiner ganzen, herrlichen Dröhnigkeit; sogar Trommelsoli sind drin.

Sowas meistern die Musiker mit solcher Virtuosität, daß man sich inzwischen fragen muß, ob das alles wirklich noch so komisch gemeint ist. Man wird ja reifer. Und so allmählich verblaßt der Charme der schalkigen Collegeboys. Die mächtig einherpolternden Kraftrocknummern sind vielleicht der Vorgeschmack auf das, was die Buben so als Frührentner vorhaben.

Der chronisch guten Laune bei „Giants“-Auftritten tut das keinen Abbruch. Munter hopsen die angejahrten Teenager auf und vor der Bühne im Polkatakt – die Safer-Pogo-Generation. So ähnelt die Konzertatmosphäre immer mehr einem Klassentreffen, das nochmal und nochmal den ewigen Abiball feiert. Wenn John (der kleine) weiter so himmlisch spitzbübisch hinter seinem (natürlich viel zu großen) Akkordeon hervorlugt – dann hängen die Fans noch ewig an seinen Lippen und stimmen ein: „Keep a little birdhouse in your soul“. Thomas Wolff